Hier finden 16 Wohnungslose jede Nacht eine Bleibe

Sabine hilft in der Küche. | Foto: Ralf Drescher
2Bilder
  • Sabine hilft in der Küche.
  • Foto: Ralf Drescher
  • hochgeladen von Ralf Drescher

Alt-Treptow. Seit über 80 Jahren steht die Bekenntniskirche in der Plesser Straße. Im Gemeindehaus gleich daneben wohnen drei Familien und in einer weiteren Wohnung in kalten Winternächten bis zu 16 Obdachlose.

Ralf (63) sieht aus, als sei er hier eigentlich fehl am Platze. Der kräftige Mann aus Kreuzberg hat am 19. Januar seine Wohnung verloren, sie wurde geräumt. "Ich hatte 1200 Euro Mietschulden" gibt er zu. Nun verbringt er schon die dritte Nacht in der von der Bekenntnisgemeinde betriebenen Notübernachtung. Die Plätze auf den Matratzen, dazu gibt es Bettwäsche, teilen sich an diesem Abend Deutsche mit Menschen aus Polen, Rumänien und Litauen. Geöffnet ist an fünf Tagen in der Woche, außer dienstags und sonnabends. Um 19 Uhr öffnen sich die Türen, dann steht schon eine Schlange vor dem Gemeindehaus in der Plesser Straße 3. Gezählt werden an diesem Abend 29 Besucher. Das Thermometer zeigt später in der Nacht 2 Grad Minus. Wirklich keine Temperatur für eine Nacht unter der Brücke oder im Zelt im Treptower Park.

Einige Besucher haben eine Wohnung und kommen nur zum kostenlosen Abendesse her. An diesem Abend gibt es Kartoffeln mit Quark. Wer Alkohol dabei hat, der muss die Flasche abgeben. Er bekommt sie erst beim Verlassen der Notübernachtung zurück.

Die Einrichtung gibt es jetzt schon ein Vierteljahrhundert. Der damalige Pfarrer Dieter Ziebarth erinnert sich: "Schon wenige Tage nach dem Mauerfall saßen die ersten Obdachlosen aus Neukölln mit Bierdosen in der Hand auf den Kirchenstufen. Die Gemeinde hat dann eine Wohnung zur Verfügung gestellt, dort konnten wir diese Menschen betreuen."

Bezahlt wird die Notübernachtung im Rahmen der Kältehilfe aus Mitteln des Senats. Allerdings nur für die offizielle Wintersaison vom 1. November bis zum 31. März. Weil die evangelische Bekenntnisgemeinde ihre Türen für Wohnungslose bereits im Oktober öffnet und erst im April wieder schließt, muss dieser Teil der Hilfe aus dem Gemeindeetat - sprich aus Spenden der 2100 Mitglieder- bezahlt werden. Am 21. Januar hat sich Harald Moritz, Abgeordnetenhausmitglied von Bündnis 90/Grüne, angesagt. Der wohnt ganz in der Nähe und hat in der Karl-Kunger-Straße sein Kiezbüro. Moritz hat fünf große Tüten mit Kleidung mitgebracht, darunter 50 Paar dicke Socken, die er extra gekauft hat. Er führt mehrere Gespräche mit Wohnungslosen, so gut es die engen Räume zulassen. Nach dem Essen wurden Stühle und Tische weggeräumt und die 16 Matratzen ausgelegt. Dafür müssen zwei kleine Zimmer reichen. Nebenan im Bad können die Übernachtungsgäste duschen, in Waschmaschine und Trockner dreht sich die wenige Habe.

Stephan Boß (46) ist Sozialarbeiter, er betreut die Notübernachtung ehrenamtlich. Und er weiß aus seiner Arbeit ganz genau, dass ein Betroffener mit Mietschulden, negativem Schufa-Eintrag und vielleicht noch mit Verhaltensproblemen kaum eine Chance auf eine neue Bleibe hat. "Selbst aus dem geschützten Marktsegment ist fast nichts zu haben. Vermieter geben eine kleine, kostengünstige Wohnung lieber einem Studenten, dessen Eltern noch eine Bürgschaft unterschreiben", sagt Boß.

Ralf, der eingangs erwähnte Kreuzberger, wäre mit einem Wohnheimplatz derzeit zufrieden. Er hat viele Jahre beim Zirkus gearbeitet, seine Arbeitgeber haben nicht in die Rentenkasse eingezahlt. Jetzt will sich Sozialarbeiter Boß um eine Unterkunft kümmern, damit Ralfs Tage in der Notübernachtung gezählt sind.

Sabine (56) hat inzwischen eine Bleibe in einer Wohneinrichtung. Im vorigen Winter hatte die frühere Stuttgarterin fünf Monate in der Plesser Straße übernachtet. "Das hat mich vor dem Erfrieren gerettet", sagt sie. Aus Dankbarkeit kommt sie an manchem Abend und hilft in der Küche mit.

Harald Moritz ist nach dem Besuch sichtlich beeindruckt. "Das Schicksal dieser Menschen zeigt, dass der Verlust der Wohnung um jeden Preis verhindert werden muss. Deshalb fordere ich, dass die vom Rauswurf bedrohten Mieter in der Beermannstraße - wegen Autobahnbau, d. Red. - in Zusammenarbeit von Bezirk und Senat bezahlbaren Wohnraum bekommen, und nicht wie geplant Mitte Februar auf die Straße gesetzt werden.

Wer die Notübernachtung mit Geld oder Sachspenden unterstützen möchte, meldet sich bitte bei Pfarrer Paulus Hecker unter 26 55 71 88.
Ralf Drescher / RD
Sabine hilft in der Küche. | Foto: Ralf Drescher
Harald Moritz im Gespräch mit Ralf, der gerade seine Wohnung verloren hat. | Foto: Ralf Drescher
Autor:

Ralf Drescher aus Lichtenberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

15 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 115× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 93× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 179× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 569× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.