Ein Spaziergang durch die Wilmersdorfer Straße

Rechts das älteste Haus der Straße, der einstöckige Bau datiert vor 1823. Der Zweigeschosser daneben beherbergt die Schau des Architekten Schnöke mit Architekturmodellen und Schautafeln zur Baugeschichte Charlottenburgs. | Foto: Matthias Vogel
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  • Rechts das älteste Haus der Straße, der einstöckige Bau datiert vor 1823. Der Zweigeschosser daneben beherbergt die Schau des Architekten Schnöke mit Architekturmodellen und Schautafeln zur Baugeschichte Charlottenburgs.
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Die Wilmersdorfer Straße als eine einzige Straße wahrzunehmen, ist gar nicht so leicht. Sie besteht aus drei unterschiedlichen Abschnitten. Nicht die einzige Besonderheit, wie der "Kiez-Kompass" in dieser Woche beleuchten soll.

Die Wilmersdorfer Straße gehört zu den ältesten Straßen Charlottenburgs. Sie war schon in dem Wegesystem vorgesehen, das Hofbaumeister Eosander Göthe für die junge Stadt Charlottenburg entworfen hatte. Ursprünglich war die Straße nicht mehr als ein Feldweg, der – von Charlottenburg aus gesehen – die Verbindung zu Wilmersdorf herstellen sollte. Er wurde anfangs Kleine oder Lange Spreestraße genannt, um 1794 Wilmersdorfer Weg und wurde vor 1824 schließlich in Wilmersdorfer Straße umbenannt. Ursprünglich reichte die Wilmersdorfer Straße nur von der Spree bis etwa zur heutigen Wallstraße. Bis zum Jahr 1857 wurde die Straße bis zur Mühlenstraße (der heutigen Bismarckstraße) verlängert. Daran schloss sich dann ein Verbindungsweg nach Wilmersdorf an. Die Verlängerung der Wilmersdorfer Straße bis zur Kreisgrenze am Kurfürstendamm ist in den Jahren 1894 bis 1900 erfolgt.

Wer heute Wilmersdorfer Straße sagt, meint in der Regel die Fußgängerzone zwischen S-Bahnhof-Charlottenburg und Schillerstraße, inklusive der Wilmersdorfer Arcaden, dem ältesten Kaufhaus der Stadt (heute Karstadt) und dem Kant-Center.

Ungewöhnlicher Dreiklang

Aber auch die beiden Abschnitte davor und dahinter pulsieren, darüber hinaus ist die gesamte in Nord-Süd-Richtung verlaufende Verkehrsader Charlottenburgs sehr geschichtsträchtig. Der Teil, der sich nördlich der Fußgängerzone anschließt und bis zur Otto-Suhr-Allee reicht, ist von alten Mietshäusern und kleinen Läden geprägt. Läuft man entlang der kürzeren Strecke vom Adenauerplatz bis zum Stuttgarter Platz, nimmt man eher repräsentative Mietshäuser, edle Boutiquen und Restaurants an einem gemütlichen kleinen Stadtplatz wahr.

Bürgerlich geprägt

In der Vergangenheit hat es große Anwesen und stattliche Wohnhäuser im nördlichen Teil der Wilmersdorfer Straße gegeben, wie die der beiden Gräfinnen Lichtenau und Elisabeth Wedel-Bérard. Aber auch zu ihren Zeiten war die Wilmersdorfer Straße ursprünglich – jedenfalls in dem von der heutigen Otto-Suhr-Allee bis zur Zillestraße reichenden Bereich – eine von bürgerlichem und kleinbürgerlichem Leben geprägte Straße. Die Entwicklungen in den Lebensverhältnissen dsind architektonisch an der Bebauung der Straße ablesbar. Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang die Wilmersdorfer Straße an der Ecke Haubachstraße. Denn hier sind Gebäude aus den verschiedenen bauhistorischen Epochen auf engem Raum versammelt. Das älteste Gebäude ist das eingeschossige Eckhaus Haubachstraße 13 und Wilmersdorfer Straße 18, das vom Architekten Werner Jokeit restauriert worden ist. Es wird vor 1823 datiert und seine Ausführung war die ursprünglich von König Friedrich I. in Preußen verfügte Bauform in Charlottenburg. Ein Geheimtipp ist laut Historikerin Birgit Jochens das Haus links neben dem eingeschossigen Bau. Dort ist eine Schau des Architekten Schnöke mit Architekturmodellen und Schautafeln zur Baugeschichte Charlottenburgs von den Anfängen bis 1880 untergebracht und auf Anfrage (info@schnoeke.de) zu besichtigen.

Betriebe und Kneipen mit Tradition

Viele traditionelle Betriebe und auch Kneipen gibt es noch heute. Wie etwa das Delikatessengeschäft Rogacki oder die Kneipe Hoeck in der Hausnummer 149,  die an dieser Stelle seit 1892 existiert. Wilhelm Hoeck betrieb hier zunächst eine Wein- und Sekthandlung, dann eine Probierstube für seine Liköre, die er am Spandauer Damm herstellte. Der Sohn des Gründers, Horst Hoeck, gewann 1932 in Los Angeles im Rudervierer mit Steuermann olympisches Gold. Auch kurios: Der berühmte Grafiker, Maler und Fotograf Heinrich Zille hat in der Kneipe gezeichnet und der politische Aktivist Rudi Dutschke soll hier einst mit Teebeuteln um sich geworfen haben. Filme wie „Jakob und Adele“, „Liebling Kreuzberg“ und „Der Wolkenatlas“ mit Tom Hanks sind ebenfalls dort gedreht worden. In letzterem musste Hoek als englisches Pub herhalten. A propos Film: Zwischen 1907 und 1912 entstanden sechs Kinos. Später kamen weitere hinzu. 1967 schloss im Lichtspielhaus Charlottenburg das letzte Kino in der Wilmersdorfer Straße. Die Straße, die heute in all ihren Teilabschnitten zum Einkaufen, Speisen und Flanieren einlädt, war Schauplatz wichtiger historischer Ereignisse. Sie erlebte Plünderungen während des Siebenjährigen Krieges (1756-63) und bei dem Einzug Napoleons in Charlottenburg (1806) sowie gewalttätige Ausschreitungen während des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution. Ab 1943 wurde die Straße von den Bombardierungen hart getroffen. Vom Ende der 50er-Jahre an hielt sich auch die Stasi in der Wilmersdorfer Straße auf. Sie setzte Spitzel auf die Arbeitsgemeinschaft der Flüchtlingsärzte an, die die medizinische Versorgung der DDR-Bevölkerung zu unterstützen suchte.

Prominente Bewohner

Prominente Bewohner gab es reichlich. Schriftsteller Franz Kafka verbrachte 1912 viel Zeit in der Wilmersdorfer Straße, als er sich in die dort wohnhafte Felice Bauer verliebte und selbst der Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein wohnte seit 1912 mehrfach in der Wilmersdorfer Straße 93 bei seinem Onkel Jakob Koch, dem Bruder von Einsteins Mutter Pauline, wenn er sich in Berlin aufhielt. So gerne man heute solche Berühmtheiten im Kiez treffen würde, so froh ist man um das Verschwinden anderer. In der Wilmersdorfer Straße 19, schräg gegenüber von Hoeck, hat Scharfrichter Julius Krautz (1843-1921), der letzte Henker Berlins, gewohnt. Krautz hat 55 Personen hingerichtet, darunter auch Max Hödel, der ein Attentat auf Kaiser Wilhelm I. verübt hatte. Über sein blutiges Handwerk hat der dem Weißbier und Frauen zugeneigte Scharfrichter nie gesprochen. Desto mehr riss man sich um den Kolportageroman "Der Scharfrichter von Berlin", der 1889 mit 250 000 Exemplaren zum Bestseller wurde.

Bewegte Geschichte im Buch

Die bewegte Geschichte der Straße und die schweren Zeiten ihrer Bewohner, sind heute, in Zeiten, in denen sich an jeder Ecke Spezialitäten aus aller Herren Länder zu Gemüte führen lassen und die Wilmersdorfer Arcaden sich mit Co-Working-Space und Food-Court auf modernste Anforderungen einstellen, kaum vorstellbar. Deshalb lohnt sich nicht nur der Spaziergang durch eine der ältesten Straßen Charlottenburgs, sondern auch ein gründlicher Blick hinter die historischen Kulissen. Genaueres lässt sich in dem Buch "Die Wilmersdorfer Straße" vom Museum Charlottenburg-Wilmersdorf (ISBN 978-3-00-043177-7) in Erfahrung bringen. Sämtliche Publikationen des Museums finden sich auf dessen Internetseite www.villa-oppenheim-berlin.de/museum/publikationen.

Autor:

Matthias Vogel aus Charlottenburg

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