Dieter Puhl bekam das Bundesverdienstkreuz

Ausnahmsweise ohne Schiebermütze: Dieter Puhl bei seiner Ehrung im Roten Rathaus. | Foto: Thomas Schubert
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Charlottenburg. Schutzpatron der Jebensstraße: Dieter Puhl ist nicht nur der Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, sondern die Stimme der Obdachlosen in Deutschland. Seine Arbeit brachte ihn zum christlichen Glauben, zu Sympathien und zum Verdienstkreuz. Was können Berliner von ihm lernen?

Geld ist nicht alles: Du bist, was du kaufst – gerade in der City West, dem ökonomischen Bizeps Berlins, definiert man sich gerne über das Geldausgeben. Und mit Blick auf jene, die mit Kreativität und Fleiß etwas erwirtschaften, ist daran nichts verwerflich. Doch neben der Konsumkultur am Kurfürstendamm ist hier auch eine Mentalität zu Hause. Diejenige der unentgeltlichen Arbeit, am besten erlebbar in der Bahnhofsmission am Zoologischen Garten. Dass hier ein Kreis von 200 ständigen und 2000 gelegentlichen Helfern Obdachlose bewirtet, auch sonntags, zu Weihnachten und zu Ostern, ist der Daseinsbeweis für die Triebkraft eines Ehrenamtsethos neben der Kultur des Kaufens. „Sie sind der Kopf“, lobte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) jetzt einen Mann, der dieses Sozialgefüge zusammenhält: Dieter Puhl, 59, seit 2009 Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, Netzwerker und Fädenspinner. Der wiederum gibt sich demütig. „Wir sind Verdienstkreuz“, setzt er seine Auszeichnung ins Plural. Und sagt bei jeder Gelegenheit: „Jesus ist Chef. Ich bin hier nur der Leiter.“

Wahre Worte rütteln wach: Viele sprechen über Wohnungsnot, über Drogenabhängige, die sich in den Verführungen verlieren, über bis zu 7000 Menschen, die in Berlin ohne Dach auskommen müssen und höchstens 700 Notübernachtungsplätze finden. Über eine geschätzte Zuwachsrate von 1000 Obdachlosen pro Jahr. Keiner spricht darüber wie Dieter Puhl. Wenn jemand seinen Stuhlgang nicht mehr im Griff hat, wenn jemand mit schweren Hauterkrankungen vor den Augen anderer verfault, wenn der Überlebenskampf des einzelnen mehr aufrüttelt als anonyme Zahlen, flüchtet sich dieser Erzählkünstler nicht in einen Jargon. Er diagnostiziert das Drama vor den Türen der Berliner mit schonungsloser Härte, arbeitet dagegen an in ergiebiger Milde. Und mahnt jeden zur Wachsamkeit. Denn bevor ein Mensch seine Wohnung verliert, kennt man ihn Jahre lang als schwierigen Nachbarn. Jahre Zeit, um zu helfen.

Kommunikation macht Unmögliches möglich: Als im Februar 2016 wegen einer Fehlplanung die Lager der Bahnhofsmission leer waren, schlug die Stunde der neuen und alten Medien. „Es fehlt eigentlich alles“, rief Dieter Puhl diesen Notstand öffentlich aus. Ein Ruf, den die Berliner über Facebook und die Presse vernahmen. Schon kurz darauf flossen wieder Milch und Kaffee. Man schnitt Brot, Käse und Wurst, gab Obst und Gemüse an 600 Tagesgäste aus, als sei nichts gewesen. Die Berliner hatten schnell reagiert und die Kühlschränke mit ihren Gaben gefüllt. Kommunikation ist ein Schwert, mit dem Dieter Puhl auch den dornigen Weg in die Zukunft freischlug. Schon 2018 wird man die gute alte Bahnhofsmission nicht mehr wiedererkennen. Sie verdreifacht ihre Fläche auf 750 Quadratmeter, wird zum Begegnungszentrum für Obdachlose und Obdachhabende, ein Leuchtturm für die Berliner Stadtmission. Es ist das nächste Lebenszeichen für eine Hilfseinrichtung, die einst vor der Schließung stand – in einer Zeit, als man das Schwert der Kommunikation noch nicht zur Hand hatte.

Geben macht glücklicher als nehmen: Wer hat, dem wird gegeben. Diese Feststellung der Ungerechtigkeit ist biblisch. Aber die Bibel sagt auch: Geben ist seliger denn nehmen. In der Bahnhofsmission kommen Menschen in Geberlaune. Da zieht ein Frank-Walter-Steinmeier die blaue Helferweste an. Da will sich ein Joachim Gauck zum Spüldienst melden. Da leisten Bahnchef Rüdiger Grube und Gunter Gabriel ihr Bestes für die Ärmsten – genau wie Rentner oder Studenten. Sie geben denen, die nichts haben, werden damit glücklich. Und Dieter Puhl lädt nicht nur jeden Berliner ein, bei einem Kaffee von der Sozialarbeit im Zeichen der Berliner Stadtmission Notiz zu nehmen. Regelmäßig entsenden große Firmen Mitarbeiter an seinen Tresen, auf dass sie sich in sozialer Verantwortung üben. Auch da, wo viel Geld verdient wird, entdeckt man die Magie des Gebens.

Leidenschaft im Job statt Leiden im falschen Job: Als Dieter Puhl bei der Stadtmission vor 25 Jahren seine Sozialarbeit mit Obdachlosen begann, trieb ihn eine Leidenschaft, von der er heute noch als 59-Jähriger zehrt. Er wählte einen Beruf, bei dem das Sinnstiften vor dem Gelderwerb steht. Einige der wichtigsten Stellen in der Bahnhofsmission sind nur deshalb besetzt, weil Sponsoren wie die Deutsche Bahn oder die BVG dafür Geld geben. Und weil jungen Sozialarbeitern wie Puhls Stellvertreterin Claudia Haubrich die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit wichtiger ist als eine steile Karriere. Puhl selbst fand durch diese Mentalität etwas, das er gar nicht gesucht hatte: Er kam zum Glauben. „Ich habe bei der Stadtmission vor 25 Jahren als überzeugter Atheist angefangen“, gestand er bei der Verleihung des Verdienstkreuzes ein. „Aber Jesus hat mich gekriegt.“ tsc

Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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