Bürgermeister Michael Müller vor Ort: Wie der Regierende die City West erlebte

Willkommen in der Wäschekammer: Heimleiter Thomas de Vachroy zeigt Müller ganze Wagenladungen von Textilien für knapp 1200 Flüchtlinge. | Foto: Thomas Schubert
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Charlottenburg-Wilmersdorf. Staunen auf dem Upper West, Demut im Kirchenzentrum am Heckerdamm, Respekt vor freiwilligem Einsatz im Flüchtlingsheim am Fehrbelliner Platz, Herantasten an fragende Bürger. Schlaglichtartig sah der Regierende alle Befindlichkeiten im Bezirk.

Baustaub malt milchige Muster auf die Scheibe. Und als sich der Aufzug mit metallischem Rattern hocharbeitet, bleibt die Welt der alltäglichen Geschäfte auf der Kantstraße zurück, wird klein und immer kleiner. Michael Müller steckt mit einem Gefolge aus Politikerkollegen und Pressemenschen in einem Lift. An die Flanke des Upper West geschmiegt, wirkt er wie ein Anhängsel, das man von der unschuldsweißen Haut des werdenden Hochhauses möglichst bald entfernen will. Die hellen Paneele legen sich in einem Tempo auf den nackten Beton, als wolle man das Skelett darunter vor den Blicken der Berliner züchtig verbergen.

Alles läuft nach Plan

Weiß sind sie, die Einfassungen der Fenster. So weiß wie in den Simulationen. Empfindlich, edel, nicht billig. In einer Stadt, die so manches anders geraten sah als in Werbeprospekten versprochen stand, ist das ein Erfolg, den der Regierende Bürgermeister persönlich überprüft. Jetzt fährt er also am Außenlift das neue Vorzeigestück Charlottenburgs hinauf und lässt sich vom Investor Strabag zeigen, was alles nach Plan läuft. „Sie müssen die Fahrstuhltür hochschieben wie eine Garagentor“, ruft ein Mitarbeiter, der sich in die falsche Ecke des Lifts drängen ließ. Müller, auf der richtigen Fahrstuhlseite, tut wie im geheißen.

Stockwerk 24. Der Wind pfeift durch eine noch nackte Etage. Müller tritt an die Brüstung, nimmt sein Smartphone heraus, fotografiert nach Westen, geht auf die gegenüberliegende Seite, fotografiert nach Osten. Sein Staunen ist echt, und die runden Brillengläser geben dem Antlitz des Regierenden beim Ausschauhalten etwas Bubenhaftes. Schon Mitte Mai, versichert Strabag-Mann Thomas Hohwieler, wird man im 118 Meter hohen Gegenstück zum benachbarten Zoofenster-Hochhaus Richtfest feiern, Anfang 2017 erfolgt die Eröffnung mit dem Hauptmieter Motel One. Ein Großprojekt fast ohne Zeitverzug. Michael Müllers Mund wölbt sich an beiden Enden nach oben.

Lektion in Sachen Demut

Die Lust am Gipfelsturm ist der Anfang. Aber es folgt eine Lektion in Demut. Müller verlegt nach Charlottenburg-Nord, entsteigt dem Bus am Heckerdamm. Das ökumenische Gedenkzentrum Plötzensee – Ort der Erinnerung an die Ermordung von christlichen Geistlichen durch Nationalsozialisten. Und heute mehr denn je ein verlässliche Größe im Sorgenkiez. Der Bezugspunkt für eine gealterte Nachbarschaft und eine Jugend, auf der Suche nach Halt. Erst grüßt der Pfarrer Michael Maillard. Die Blicke gehen auf die Bilder des „Plötzenseer Totentanzes“, dem Wandschmuck des evangelischen Gedenkzentrums. Man spricht aber vor allem über das, was im Hier und Jetzt zählt: die interkulturelle Arbeit, das preisgekrönte Café Nightflight in der Hand von Jugendlichen.

Dass die katholische Gedenkkirche Kirche Regina Maria Martyrum ein Stück entfernt liegt, hat einen Grund, den Müller bislang nicht kannte: „Zwischen den Kirchen hätte damals die U-Bahn zum Flughafen Tegel entlangführen sollen“, erklärt Bürgermeister Reinhard Naumann. An diesem Tag gibt er den Reiseführer – und geleitet Müllers Tross also hinüber zu Theresa Benedictina, Oberin der Karmeliterinnen. Als sie im Altarraum das riesige Wandbild von Georg Meistermann erklärt, wirkt der Regierende in seinem hohen Amt ganz klein.

Helfer arbeiten am Limit

Wenig Platz für Kleinmut bleibt dann im alten Rathaus Wilmersdorf. Und wenn der Bezirk unter seinen Flüchtlingseinrichtungen ein Vorzeigeheim herausheben kann, ist es wohl dieses Haus. Knapp 1200 Asylbewerber, täglich mindestens 100 ehrenamtliche Helfer, 30 Hauptamtliche, ein kritisch nachfragender Leiter. Thomas de Vachroy berichtet Müller von einem „Gewaltmarsch“. Denn eigentlich hatte der Arbeiter-Samariter-Bund mit der Betreuung von nur 500 Flüchtlingen gerechnet. Inzwischen ächzt die Unterbringungsmaschinerie, aber sie bricht nicht. Der Rundgang im Heim zeigt die Stärken des Hauses: ein nagelneues Internetcafé dank Partnerschaft mit Google, ein ganzes Depot voll frisch gewaschener Wäsche, eine beispielhafte medizinische Versorgung. Das Personal arbeitet am Limit. Und die Politik, sie reagiert aus Sicht der Freiwilligen zu träge. Man will von Müller wissen: Geht das nicht schneller, besser, einfacher?

Der verweist darauf, dass zum Beispiel Dolmetscher deutschlandweit gesucht würden. Der Markt sei dementsprechend leergefegt. Eine sehr klare Ansage gibt er für die Möglichkeit, Flüchtlinge mit Hilfe eines Partners in Hotels unterzubringen. „50 Euro pro Nacht sind eine absurde Preisvorstellung“, lehnt er entschieden ab.

Dialog mit den Bürgern

Und bestreitet, mit Eindrücken überflutet, auch noch die letzte Etappe des Bezirksbesuchs: den Dialog mit Bürgern. Hier ist er nun nach dem gipfelstürmischen Start ganz unten angelangt, an der politischen Basis. Im Klein-Klein, mit dem sich seine Bezirksamtskollegen Tag für Tag befassen müssen. Ein Bürger fragt, der Regierende antwortet. Ob er sich nicht stärker für den Erhalt von Grünflächen einsetzen könne? Müllers Mundwinkel zucken nach unten. „Schwieriges Thema“, entgegnet er. Einerseits wolle er dem Bezirk nicht in seine Entscheidungen hineinreden. Fakt sei aber, dass in Berlin jährlich 15 000 Wohnungen entstehen müssen. „Hier gibt es ein Spannungsverhältnis“, sagt er naturverbundenen Bürgern mit Verlustangst. „In einer wachsender Metropole brauchen wir Flächen für Wohnungsbau. Und ich kann Ihnen nicht versprechen, dass alles so bleibt, wie Sie es kennen.“ tsc

Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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