Freitagabend- Türdienst in der Bahnhofsmission am Zoo

Heiß ist es - viele Gäste sitzen in Gruppen rund um die Bahnhofsmission oder liegen schlafend auf ihren Decken. Auch ihre Hunde liegen im Schatten und dösen. Es ist ruhig.
Zusammen mit Ehrenamtler Sascha (*) steh ich an der Tür. Er war früher Security und hat schon vieles erlebt - passt. Immer wieder kommen Obdachlose und möchten Wasser haben - bei dem Wetter auch kein Wunder. Andere fragen nach Essen, brauchen Klamotten. Die Mittagessensausgabe ist seit 18 Uhr vorbei, jetzt wird von unseren anderen Kollegen das Abendbrot vorbereitet. Das gibts ab 22 Uhr, genau wie Schlafsäcke. Vorher nicht, sorry, aber wir können auch nicht hexen. Dazu sind wir personell, finanziell und räumlich zu schmal aufgestellt.

Menschen, die eine größere Ausstattung an Klamotten brauchen, bekommen einen „Laufzettel“ für die Berliner Stadtmission in der Lehrter Straße. Da gibts eine große Kleiderkammer - unsere ist winzig.

Zwischen den Essensausgaben können wir nur Notfälle stemmen - und Wasser verteilen. Wenn also jemand kommt, der dringend eine Jacke braucht, weil er keine hat, bekommt sie auch. Deswegen sind wir so auf Kleiderspenden angewiesen. Alles, was wir nicht unterbringen können, kommt in die Lehrter Straße. Da kann man übrigens auch rund um die Uhr Kleiderspenden abgeben, denn es gibt dort eigene Kleidercontainer von der Berliner Stadtmission.

Wieder zurück zur Tür, Spender geben Essen ab, das übrig geblieben ist. Vieles kommt von Bäckereien, Cateringunternehmen, aber auch von Privatpersonen. Und dann kommt da auch wieder der Zeitungszusteller auf seinem Fahrrad, der 10 Brötchen abgibt. Und der Bäckereibesitzer, der jeden Tag kommt und mir sagt: „Wenn ich die Menschen hier sehe, bin ich so dankbar, wie gut es mir geht!“ Ja, da haben Sie Recht, seh ich auch so! Und einfach großartig, Leute, dass ihr helft, danke!

Zwischendurch kommt ein französisch sprechender Gast, er braucht einen Laufzettel für Kleidung. Mist, mein Französisch ist eingerostet und ich komm dauernd mit meinem auch nicht perfekten Spanisch durcheinander. Sein Englisch ist genauso spärlich- egal, wir verständigen uns, verstehen uns, alles klar, au revoir!!

Danach kommt Gast Ralf (*) zu meinem Kollegen. Ich vermute, er hat eventuell heute Hausverbot, weil er sich daneben benommen und deshalb sein Mittagessen zum Mitnehmen und nicht drinnen bekommen hat. Jedenfalls meckert er rum, dass ihm das Essen nicht schmeckt und ob es was Anderes gibt. Sascha: „Nein, Ralf, das weißte doch inzwischen, es gibt nichts Anderes.“
Wir haben auch wirklich nix Anderes, wir sind ja leider kein Hotel….Ralf schimpft los, er hat wohl heute echt keinen guten Tag. Er begrüßt mich auch nicht. Allerdings, das letzte Mal, als ich ihn gesehen hab, war er zucker drauf und sagte zu mir: „Ick liebe dir!“ zum Abschied. Naja, das Leben auf der Straße ist eben kein Zuckerschlecken. Und dass die Leute wohl kaum dauernd fröhlich lächelnd mit einem Peacezeichen durch die Straßen laufen, ist auch klar.

Dann kommt ein Gast, der um eine Jacke und ein T-Shirt bittet. Ich suche ihm Sachen aus der Kleiderkammer raus, Gottseidank kamen heute ein paar gespendete T-Shirts rein, sonst war alles weg. Es hängen auch nur noch wenige Sommerjacken in der Kleiderkammer. Der Mann zieht sich um und freut sich über die schwarze Jeansjacke, er findet sie schön: „Danke!“, sagt er und lächelt mich an.

Jetzt kommt ein Mann, auch so um die 60, der mir erklärt, dass er Epileptiker ist. Ich verstehe nicht gleich, wie ich ihm helfen kann. Immer wieder zeigt er mir die Visitenkarte seines Psychiaters. Nebenbei: Rund 60-70% unserer Gäste haben psychische Probleme - wen wunderts? Langsam bekomme ich raus: Er braucht eine Kleiderkammer in Pankow, nirgendwo anders. Ich recherchiere im Netz zwei Adressen und Öffnungszeiten. Damit kann er was anfangen.

Manche der Gäste reden ganz leise, verschämt. Manche sind laut und aggressiv. Manche einfach gut drauf. Ob mit oder ohne Drogen und Alkohol. Das Leben auf der Straße ist nun mal kein Streichelzoo. Ich kann alle Reaktionen und Verhaltensweisen verstehen. Wer würde nicht anfangen, zu saufen oder Drogen zu nehmen, wenn er Tag und Nacht, bei Hitze, Kälte, Ignoranz, Verachtung und Sadismus draußen leben müsste? Nur wenige schaffen das ohne Hilfsmittel.

Crissi(*) find ich persönlich mega. Neulich hab ich ja schon von ihm erzählt. Crissi hat einen Heroinentzug gemacht. 10 Monate war er im Krankenhaus, auch wegen seiner Abzesse. Und da hat er auch seinen Entzug gemacht. Seine Unterarme sehen stellenweise aus, als wäre ihm die Haut einer gerupften Gans implantiert worden. Eben voller Löcher von den Nadeln. Verhärtet und vernarbt. Ich frag ihn, wie er den Entzug geschafft hat: „Das hab ich meiner Frau zu verdanken!“

Eben hat sie noch den Wassernapf für ihre Hunde geholt und sagt zu mir: "Ich bring den nachher wieder zurück." Seine „Frau“ ist seine Freundin- jung, hübsch, mit rosa-blond gefärbten Haaren. Ohne sie hätte er den Entzug nie angefangen. Doch er hat sich auch vorbereitet: "Ey, ich hab vorher bis zu acht Kugeln Heroin am Tag gebraucht, am Schluss hab ich mich aber runtergefahren auf drei!"

Kalter Entzug - nicht auszuhalten ohne Schmerzmittel. Ich schätze, Geburtsschmerzen sind ein Scheißdreck dagegen. Als er mir noch erzählt, dass er das Ganze danach ohne Methadon, also einen Ersatzstoff, gemacht hat, bin ich so richtig beeindruckt . Crissi sagt mir, dass er jetzt nur noch Hasch raucht und maximal drei bis vier Bier am Tag trinkt. Ich find seine Leistung außergewöhnlich und freu mich für ihn wie Bolle!

Ich hab immer gedacht, Punks sind asozial, haben null Bock auf die Gesellschaft und überhaupt. Gut, ein paar sind mir auch auf der Warschauer Brücke oder am U-Bahnhof Möckernbrücke begegnet, die so druff waren. Die dreist aufgetreten sind oder sich auch gegenseitig beleidigt haben.

Aber die sind wirklich nicht alle so. Wahrscheinlich nur die wenigsten. Crissi hat mich heute sogar noch drum gebeten, ob es nicht eine Lösung gäbe, damit nicht überall die Kippen rumliegen. Ansonsten will er sich selbst was einfallen lassen. Jahrelang hab ich einen Punk vorm Zooladen mit seinem Schäferhund ignoriert, weil ich meine Vorurteile im Kopf hatte. Bis ich ihn mal vor ein paar Monaten endlich angesprochen hab. Der war sowas von nett, überrascht und verlegen, als ich ihm nur ein bisschen Kleingeld in die Hand gedrückt und gefragt hab, welches Futter sein Hund mag.

Boah, schäm ich mich heute für meine Vorurteile! Inzwischen hab ich den Eindruck, dass viele deshalb Punks sind und auf der Straße leben, weil sie aus gewalttätigen Familien kommen und von zuhause oder aus Kinderheimen abgehauen sind, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben. Die erleben mehr Familienzusammengehörigkeit auf der Straße, als in ihrer gesamten Kindheit. Crissi ist mit 15 weg von zuhause. Vater Alkoholiker. Seit 18 Jahren ist er jetzt obdachlos. Macht sprachlos.Warum hilft da der Staat nicht? Vielen anderen Personengruppen wird hierzulande geholfen - das ist auch schön. Aber die Obdachlosen fallen irgendwie immer hinten runter….

(*) Alle Namen geändert

Kontakt Berliner Bahnhofsmission am Zoo:
Jebensstr.5
10623 Berlin
Tel: 030- 31 80 88
www.berliner-stadtmission.de

Kleiderkammer für Obdachlose und Flüchtlinge bei der Berliner Stadtmission
Lehrter Str. 68
10557 Berlin

Autor:

Antje Gebauer aus Schöneberg

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