Tanzkreis, der Kranke und Gesunde zusammenbringt, sucht Verstärkung

Selbstbestätigung beim Cha-Cha: Krebskranke wollen im Nachbarschaftshaus für 90 Minuten ihre Diagnose vergessen. | Foto: Thomas Schubert
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Charlottenburg. Es ist eine Diagnose, die das gesamte Leben verändert. Ein Hindernis, tanzen zu lernen, ist sie nicht. Im Zirkel für Krebskranke im Nachbarschaftshaus am Lietzensee dürfen ausdrücklich auch Gesunde ran. Und gerne auch Herren – denn es herrscht Damenüberschuss.

Eine Krücke liegt auf dem Tisch, als habe sie jemand vergessen. Daneben stehen halbvolle Wasserflaschen. Unter dem Tisch wartet ein Hund darauf, dass sein Frauchen mit dem Kurs fertig ist.

Als Schemen sieht man sieben Paare durch den Tanzsaal gleiten. Im sommerlichen Gegenlicht ergibt sich für den Betrachter das Bild eines Schattentheaters. Tatsächlich ist bei diesem deutschlandweit wohl einmaligen Tanzkurs etwas Dunkles im Spiel. Ein Teil der Tänzer lebt mit den Folgen von Krebs, der andere bewegt sich frei von Sorgen um das eigene Befinden. Wer ist wer? Ein Beobachter wird es kaum beurteilen können. Vor Tanzlehrer Tobias Wozniak sind ohnehin alle gleich.

Pausen inklusive

„Ich weiß nicht, wer krank ist und wer welche Lebensgeschichte hat“, sagt der junge Instruktor. Gleichwohl lässt der junge Mann bei der Gesamtgestaltung des Kurses Vorsicht walten – „unter anderen Umständen würde ich wohl etwas mehr Gas geben.“ Im Zirkel der Krebskranken darf jeder die Anstrengung selbst dosieren – und zum Durchschnaufen kurz pausieren.

Dass sich freitags bis zu 20 Paare im Nachbarschaftshaus am Lietzensee zum kostenlosen Reigen treffen, verdanken sie der Unterstützung durch die Stiftung "Perspektiven" und die Aline-Reimer-Stiftung. Ein kleiner Schritt für die Wertschätzung des Tanzens. Ein großer für das Selbstwertgefühl der erkrankten Tänzer. „Sie fühlen sich endlich wieder gleichberechtigt“, sagt Dr. Jutta Hübner, Expertin der Universität Frankfurt am Main und Leiterin dieses Kurses. Bisweilen muss sie selbst in die Führungsrolle gehen, weil in diesem Kurs wie bei vielen anderen auch vor allem eines fehlt: Männer.

„Dabei kann man durch das Tanzen ein anderes Thema in seine Beziehung lassen als die Krankheit“, ermuntert Hübner die Herren zum Einstieg. Wenn jemand wirklich ernsthafte Schwäche verspürt, ist die Ärztin sofort zur Stelle. Aber in aller Regel kennen die Tänzer ihre Grenzen. Niemand stellt Fragen, wenn ein Teilnehmer Sitzungen auslässt. Und Hübner kann sich, sobald niemand ihre Dienste als Tanzpartner oder Arzt benötigt, ihren Studien widmen. Sie forscht am Zusammenspiel von Körper und Geist, während die Teilnehmer Woche für Woche die kostenlosen Lektionen genießen.

Schönes erleben

„Man sucht Möglichkeiten, etwas für sich selbst zu tun“, umschreibt Anne Wispler ein typisches Bedürfnis. Als Mitglied einer Selbsthilfegruppe für Hautkrebs hat sie kaum Probleme damit, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen. „Es geht darum, den Körper einmal nicht als krank zu empfinden“, nennt Wispler den wichtigsten Beweggrund. Bei ihrem liebsten Tanz, dem Cha-Cha, fühlt die 54-Jährige, wie ihr Körper Schönes leistet.

Dass man nach der Diagnose von Brust-, Darmkrebs oder Leukämie leidenschaftlich Sport treiben sollte? Eine verhältnismäßig neuer Ansatz. Erst seit wenigen Jahren gilt die Devise: Beim Gesundwerden hilft, was gefällt. Ob das nun Nordic Walking ist, Fußball oder Boogie-Woogie. tsc

Wer in den Tanzkurs im Nachbarschaftshauses am Lietzensee, Herbartstraße 25, einsteigen möchte, kann sich per E-Mail anmelden unter tanzen-perspektiven@web.de.
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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