„Das ist fahrlässige Körperverletzung“: Feinstaubgrenzwerte ständig überschritten

Der Verkehr als Gefahr? Auf Magistralen wie dem Kaiserdamm ist die Dichte schädlicher Partikel besonders hoch. | Foto: Thomas Schubert
  • Der Verkehr als Gefahr? Auf Magistralen wie dem Kaiserdamm ist die Dichte schädlicher Partikel besonders hoch.
  • Foto: Thomas Schubert
  • hochgeladen von Thomas Schubert

Charlottenburg-Wilmersdorf. Berliner Luft war einmal für Liedtexte gut – zum Atmen ist sie vielerorts inzwischen zu schlecht. Nun erwägt der Bezirk drastische Gegenmaßnahmen – denn mitten in der City-West liegt einer der schmutzigsten Orte der ganzen Stadt.

Wie eine unsichtbare Haube hängt der Feinstaub über den Hauptstadtdächern. Und am Bahnhof Zoo ist sie so dick, so schädlich, dass die Behörden sofort handeln müssten. Bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter liegt der gesetzliche Grenzwert für lungenschädliche Stickoxide. 53 Mikrogramm im Jahresdurchschnitt sind es am Hardenbergplatz – eine Grenzwertverletzung als Normalfall. „Das ist fahrlässige Körperverletzung“, kommentierte nun Stadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne). Er ist zuständig für Baupolitik und Umwelt gleichermaßen, von Amtswegen gefangen in einem Konflikt: Das Fließen des Autoverkehrs steht seiner Schmutzbelastung entgegen.

Tempo-30-Zonen umstritten

Und Maßnahmen wie die Ausweisung von Tempo-30-Zonen sind umstritten, bedürfen noch dazu einer langwierigen Abstimmung mit den Senat. Alle sonstigen Stellschrauben, an denen das Bezirksamt drehen kann, um die Feinstaubentwicklung einzudämmen, sind von sehr begrenzter Wirkung. Zugleich erhöhen die Bezirksverordneten nun den Druck. Eine große Anfrage der SPD bewies die Zerrissenheit der kommunalen Politiklandschaft, wenn es um darum geht, die Bürger vor schadstoffbedingten Erkrankungen zu schützen.

Da stehen weitreichende Forderungen nach einer Ausweitung der Umweltzone mit Einfuhrverboten für Pkw mit veralteter Abgasreinigung gegen die grundlegende Skepsis gegen staatliche Regulierung. Denn bei schärferen Bestimmungen für Abgaswerte, die nur die neuesten Fahrzeuge erfüllen, könnten Geringverdiener mit alten Autos gekniffen sein. „Hier wird die Lebensfähigkeit der Stadt aufs Spiel gesetzt“, warnt Gerald Mattern von der CDU vor flächendeckend Tempo 30 und Abgasdekreten. Einen Zusammenhang zwischen der Verlangsamung des Verkehrs und der Verringerung der Abgasbelastung ziehen die Christdemokraten in Zweifel.

Grüne für blaue Plakette

Eine radikale Gegenposition dazu nehmen die Grünen ein. Sie ermuntern ihren Stadtrat Schruoffeneger, sich für eine Elektrisierung des Landesfuhrparks stark zu machen, für effektivere Dieselfilter der Busse – und für die blaue Plakette. Sollte die im Bund beschlossen werden, wären selbst Dieselfahrzeuge jüngeren Datums aus der City-West verbannt. Es wäre aus Sicht der Grünen die Quittung dafür, dass Autohersteller den Stickoxidausstoß ihrer Produkte zu lange vernachlässigt haben.

Die Zeiten sanfterer Maßnahmen sind aus Sicht von Susan Drews, der Vorsitzenden im Umweltausschuss der BVV, jedenfalls vorbei. „Wegen des Verstoßes gegen die Grenzwerte beim Feinstaub drohen Strafzahlungen“, rät sie davon ab, das Problem auszusitzen. Von Rechtswegen könnte die EU ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten.

Hohes Konfliktpotenzial zwischen den Grünen und der FDP zeichnet sich ab, wenn es um den Schutz von Anwohnern großer Einfallstraßen geht. Während die einen bauliche Aufrüstung der einfachen Mietshäuser an der Berliner Straße gegen Feinstaub befürworten, warnen die Freien Demokraten vor damit verbundenen hohen Mieten. „Anwohner sind hier auf niedrige Wohnkosten angewiesen“, protestiert Johannes Heyne.

Umdenken braucht Zeit

Und die SPD? Deren Sprecher Jürgen Murach erinnert an den Erfolg von früheren Umweltkampagnen. „Ohne Kat nicht in die Stadt“ habe das Motto gelautet, als zu viele Fahrzeuge noch ungefiltert ihren Qualm in die Berliner Luft entließen. Nach und nach habe sich durch die Ausgrenzung der Autos ohne Katalysator der Fuhrpark in der Stadt zum Positiven verändert. Eine ähnliche Kampagne, umgemünzt auf Technik zum Filtern von Feinstaub und Stickoxid, könnte eine weitere Wende bewirken. Wenn der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung wirklich erfüllt ist, sind einschneidende Maßnahmen wohl nur noch eine Frage der Zeit. tsc

Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 242× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 207× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 126× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 235× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.568× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.