Die Geheimnisse der Andreasstraße

Die Andreasstraße im Gegenlicht. | Foto: Thomas Frey
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Zunächst vermittelt sie das Bild einer normalen Straße: 870 Meter lang zwischen der Karl-Marx-Allee im Norden und dem Stralauer Platz im Süden.

Was beim weiteren Blick in die Andreasstraße auffällt, ist ihr teilweise großzügiger öffentlicher Raum sowie Gebäude, die aus unterschiedlichen Epochen stammen. Beides hängt mit ihrer Geschichte zusammen. Manche Spuren lassen sich bei genauem Hinschauen noch erkennen.

Der Beginn: Ihre Bezeichnung bekam die Straße am 23. Januar 1863. Namensgeber war die Andreaskirche am Stralauer Platz. Sie wurde im Krieg zerstört und nicht wieder aufgebaut. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts gab es in dieser Gegend große Gärtnereien. Namen wie Blumenstraße, Krautstraße oder früher Fruchtstraße, seit 1971 Straße der Pariser Kommune, erinnern daran. Viele Gärtner waren die erste Profiteure des einsetzenden Baubooms. Sie verkauften ihre Grundstücke oder errichteten dort selbst Häuser.

Verrufene Gegend: In den folgenden Jahren entstand eines der engen Berliner Quartiere mit Vorderhaus, Seitenflügel, teilweise auch Rückgebäude; kleine Wohnungen für viele Menschen ohne großen Komfort. Die Andreasstraße und ihre Umgebung wurden zu einem sozialen Brennpunkt, einem berüchtigten Ort von Kriminalität und Prostitution. Der Maler Heinrich Zille (1858-1929), der als Kind mit seiner Familie in eine Kellerwohnung in der Andreasstraße 17 gezogen war, hat dieses "Miljöh" in seinen Bildern festgehalten.

Wirtschaft: Ebenfalls typisch für die Gegend war die Mischung von Wohnen und Arbeiten auf engstem Raum. In der Andreasstraße waren Kleingewerbetreibende aller Art zu Hause, später auch größere Manufakturen. Viele befanden sich in Gewerbehöfen, deren größter die Andreashöfe waren. Ihre Fläche befand sich in etwa der heutigen Nummern 27 bis 36. Zum Wirtschaftsleben gehörte auch das Kaufhaus Jandorf, ab 1926 Hermann Tietz, das sich an der Ecke Große Frankfurter Straße, der heutigen Karl-Marx-Allee, befand. Oder die Markthalle VIII. Sie war am 1. Mai 1888 eröffnet worden und lag im Karrée zwischen Andreas-, Singer- und Krautstraße. Letzte Reste standen bis 1966.

Industriegeschichte: Direkt an den Stadtbahngleisen fällt ein noch immer markante Gebäude auf. Es wurde 1908 eingeweiht und war der Verwaltungssitz der Firma Pintsch. Der gelernte Klempner Julius Pintsch (1815-1884) hatte 1843 eine Firma eröffnet, die zunächst Gasgeräte reparierte. Daraus entwickelte sich ein Großunternehmen, das Gasdruckmesser und weitere Apparate herstellte und sich später vor allem auf die Gasbeleuchtung für Eisenbahnen spezialisierte. Ab 1863 befand sich Pintsch an der Andreasstraße. Das Firmengelände erstreckte sich in den folgenden Jahrzehnten bis zur Krautstraße. Zu DDR-Zeiten wurde der Betrieb enteignet. Nach der Wende wurde daraus eine GmbH, die Mitte der 1990er-Jahre ihren Sitz nach Marzahn verlegte. Seither steht das Gebäude leer.

Spuren der Vergangenheit: Am Haus Andreasstraße 64 macht eine Gedenktafel auf einen einst bekannten Veranstaltungsort aufmerksam – die Concordia-Festsäle. Sie befanden sich im Innenhof des Gebäudekomplexes Nummer 64. Der Name verwies auf das Innungshaus der Bäckervereinigung "Concordia", das sich dort ab 1891 befand. Noch bekannter wurde es als Versammlungsstätte der Arbeiterbewegung. 1892 fand in den Festsälen ein SPD-Parteitag statt. Ein Jahr später sprach dort Friedrich Engels. Nach dem Ersten Weltkrieg folgte der Umbau zu einem Kino. Es wurde 1943 durch einen Bombenangriff zerstört, was übrig blieb, zehn Jahre später abgerissen.

Reste des Andreasplatzes: Der Andreasplatz war eine repräsentative Freifläche südlich der Singerstraße, die 1865 benannt wurde. An ihn grenzte auch die Rückfront des 1906 an seinem heutigen Standort eröffneten Andreas-Gymnasiums. Die einstigen Ausmaße des Andreasplatzes können nur noch an seiner ehemaligen Ostseite einigermaßen nachvollzogen werden. Ein erhaltenes Relikt, wenn auch nicht an der Originalstelle, ist das Denkmal "Handwerker und Sohn", das sich links vom heutigen Seniorenwohnheim Bethel befindet. Die 1898 von dem Künstler Wilhelm Haverkamp geschaffene Marmor-skulptur ist das einzige noch vorhandene Monument aus Wilhelminischer Zeit in Friedrichshain. Ungewöhnlich für diese Epoche ist, dass es nicht Kriegs- oder sonstige "Helden" darstellt.

Es gibt bewegte Bilder, die zeigen, wie es unmittelbar nach 1945 am Andreasplatz ausgesehen hat. Sie stammen aus dem Film "Die Mörder sind unter uns", der ersten Defa- und ersten deutschen Nachkriegsproduktion aus dem Jahr 1946. Mehrere Szenen wurden in der der dortigen Trümmerlandschaft gedreht.

Auferstanden aus Ruinen: Auch die Umgestaltung der vergangenen mehr als 70 Jahre markiert inzwischen unterschiedliche Epochen. Dem eher dezenten Wiederaufbau im Bereich der Kleinen Andreasstraße folgten in den 1970er-Jahren die Wohnblöcke im nördlichen Bereich. Ausläufer der Stalinalle-Bebauung finden sich an der Ecke Karl-Marx-Allee. Markant sind auch die beiden Hochhäuser zwischen Singer- und Lange Straße, die 1972 beziehungsweise 1975 errichtet wurden.

Und heute? Anders als in früheren Epochen ist die Andreasstraße inzwischen (noch) kein angesagter Hotspot. Vielmehr handelt es sich um eine – gerade für Friedrichshainer Verhältnisse – eher ruhige Gegend. Das kann sich ändern. Nachverdichtung und steigende Mieten werden auch dort zum Thema. Und die Straße hat im Lauf ihrer Geschichte schon viele Veränderungen erlebt.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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