Spandau. „Märchenland – abgebrannt?“ fragt die Spandauer Theatergruppe Status im Kulturhaus Spandau, Mauerstraße 6. Und auch wenn sie die Frage nicht eindeutig beantwortet, gibt es für die Inszenierung viel Applaus, nicht nur zum Schluss, sondern schon in einzelnen Szenen.
König Müllerssohn hat ein großes Hobby und ein großes Problem. Er faltet gerne Schwäne aus Papier, damit sie den Spektesee bevölkern und viele Kinder bekommen, die er dann natürlich auch wieder aus Papier basteln muss. Und ihm fehlt eine Frau, die nicht nur hübsch sein, sondern seine Regentschaft mit Kindern sichern soll.
Aschenputtel sammelt Flaschen
Regisseurin Monika Strzeletz hat für ihre Schauspieler der Theatergruppe Status, die zugleich ein Kurs der Volkshochschule ist, eine Reihe von Märchen gemixt. Da ist Aschenputtel, die in Spandau vom Pfandflaschensammeln lebt, auf Teilzeitjobs hofft und selbst in China keine vollwertige Arbeit fand. Rotkäppchen kommt ebenso vor wie der böse Wolf und die sieben Geißlein. Frau Holle ist ein Sozialfall, und dann ist da noch die Spandauer und deutsche Wirklichkeit: Es gibt arm und reich, und dazwischen sind Hoffnungen und Hürden, Wünsche und Missverständnisse.
Im Märchen geht bekanntlich alles gut aus, und so ist es auch formell am Spektesee. Doch da Märchen ursprünglich Geschichten für Erwachsene waren, kommt auch die nicht immer erfreuliche Wirklichkeit zu ihrem Recht: Der böse Wolf hat sich längst zur Ruhe gesetzt, und seine Rolle einem „Asylanten“ überlassen. Der ist zwar ein eher harmloses Känguru, wirkt in der Sicht der Einheimischen als Fremder jedoch ganz schön bedrohlich.
Die armen Rentner
Und eines der sieben Geißlein, die wegen des schnöden Mammons Frau Holle aus ihrer Hütte am Spektesee verjagen sollen, weiß, was noch gefährlicher ist für das Land als die bösen Fremden: die armen Rentner, die Geld brauchen, und viel mehr sind als die Einwanderer. Besser lässt sich der Blödsinn der Populisten in diesem Land nicht auf den Punkt bringen. Und so verneigt sich das Ensemble mit einem Zitat vor Kurt Tucholsky, der schon in den 20er-Jahren sagte: „Die Nation ist der Abfalleimer aller Gefühle, die man anderswo nicht unterbringen kann.“ CS
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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