Der Taser wird zum Testfall: Die Polizei setzt auf die neue Waffe, Bezirkspolitiker lehnen sie ab

So sieht es aus, wenn der Taser auf einen gerichtet ist. Für die Nutzung gibt es strenge Vorgaben. | Foto: Thomas Frey
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Kreuzberg. "Herr Müller" ist mit einem Messer bewaffnet und will sich das Leben nehmen. Polizeibeamte rücken an und sollen die Situation entschärfen.

Das war die Ausgangslage für ein Planspiel, das Pressevertreter am 9. Februar in der Direktion 5 an der Friesenstraße vorgeführt bekamen. Es diente dazu, die Funktion und Wirkung einer für den Streifendienst neuen Waffe zu demonstrieren, deren Probephase drei Tage zuvor begonnen hatte. Sie trägt die offizielle Bezeichnung "Distanz-Elektroimpulsgerät", ist aber besser bekannt unter dem Namen Taser.

Der Taser gehört seit 2001 bereits zum Arsenal der Spezialeinsatzkommandos (SEK) und wurde dort seither 25 Mal eingesetzt. Jetzt soll er drei Jahre lang in zwei Abschnitten bei der täglichen Polizeiarbeit getestet werden. Zum einen am Alexanderplatz, außerdem im nördlichen Kreuzberg.

Solchen Konfrontationen wie der mit dem suizidgefährdeten "Herrn Müller" seien die Kollegen immer wieder ausgesetzt, erklärt Thomas Drechsler, Landeseinsatztrainer bei der Polizei. Helfe gutes Zureden nicht, blieben häufig nur zwei Möglichkeiten, ihn außer Gefecht zu setzen. Entweder mit Pfefferspray, dessen Wirkung aber nicht immer gesichert sei, oder mit der Schusswaffe, der denkbar letzten und absolut schlechtesten Variante. Zumindest eine Verletzung müsse dann einkalkuliert werden, möglicherweise sogar der Tod. Der Taser soll dafür sorgen, dass es so weit nicht mehr kommen muss.

Wird ein Schuss aus dem Gerät abgefeuert, ist der Getroffene für ungefähr fünf Sekunden bewegungsunfähig, denn er erhält einen elektronischen Stoß in Höhe von rund 50.000 Volt, der die Muskeln lähmt. Die Stromstärke klingt hoch, wird aber von Thomas Drechsler relativiert. "Bei richtigen Elektroschockern reden wir von Größenordnungen zwischen 200.000 und einer Million Volt." Deshalb gehöre der Taser auch nicht in diese Kategorie.

Bleibende Schäden könnten weitestgehend ausgeschlossen werden. Auch die 20 Beamten, die sich freiwillig für die Arbeit mit dem Taser gemeldet habe, seien während des Trainings ohne nachhaltige Konsequenzen beschossen worden. Und natürlich hatte auch "Herr Müller" nach der Übung keine Schmerzen.

Ergebnisse, die aber bei einer Mehrheit in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Mit den Stimmen vor allem von Grünen, Linken und Der Partei verabschiedete das Bezirksparlament am 8. Februar eine von der Bündnispartei initiierte Anti-Taser-Resolution, der die beiden anderen Fraktionen beigetreten waren. Darin wird nicht nur die angebliche Harmlosigkeit der Elektrowaffen in Zweifel gezogen, besonders erzürnte außerdem, dass der Bezirk für den Probebetrieb zum "Experimentierfeld" erklärt wurde. Das sei die gleiche Politik, wie beim früheren Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU), beklagte Bürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis90/Grüne). "Friedrichshain-Kreuzberg soll aber nicht mehr als Übungsplatz zur Verfügung stehen." Nötig seien keine Taser, sondern ein anderes Polizeikonzept, etwa "mobile Wachen an den Hot Spots". Aussagen, in denen mitschwang, dass das Thema Taser zum ersten Härtetest zwischen rot-rot-grüner Landes- und grün-rot-roter Bezirkspolitik werden könnte.

Abgesehen davon, dass nicht der gesamte Bezirk, sondern Teile von Kreuzberg zum Testgebiet werden, zeugten für den SPD-Bezirksverordneten John Dahl solche und ähnliche Meinungsäußerungen von "intellektueller Unredlichkeit", die "die Realität in das ideologische Weltbild einpasst. Lieber vom Taser getroffen, als einen Steckschuss im Kopf." Denn diese Waffe sichere Menschenleben, fand auch der CDU-Fraktionsvorsitzende Timur Husein. "Polizisten sind Menschen und Menschen sind fehlbar", hielt Andreas Weeger (Grüne) dagegen – eine Tatsache, die bei der Handhabe durch rechtliche Barrieren und Vorgaben zur Anwendung eingezäunt werden soll.

In Berlin sei der Taser als einzigem Bundesland gesetzlich anderen Waffen gleichgestellt, erläuterte Thomas Drechsler. Das bedeutet, bei einem Einsatz wird auch entsprechend ermittelt. Und die Überprüfung, ob das Gerät wirklich im Verhältnis zur Gefahrenlage aktiviert werden musste, falle eher leichter, denn jede Taser-Nutzung werde aufgezeichnet. In bestimmten Situationen sei der Gebrauch auch nicht gestattet. So musste im Fallbeispiel "Herr Müller" zunächst vom offenen Fenster weggelockt werden, bevor der Schütze auf ihn zielte. Sonst hätte die Gefahr bestanden, dass er in die Tiefe stürzt.

Dass eines der beiden Versuchsgebiete in Kreuzberg liegt, sei kein Zufall, macht die Polizei deutlich. Natürlich habe man sich Gebiete ausgesucht, wo es zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit gebe, dass der Taser einmal benötigt werden könnte. Und das wären nun einmal City-Abschnitte mit vielen Einsätzen und "hoher Straftatendichte", namentlich der Görli und der Kotti. tf

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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