400 Polizisten sichern Räumung in der Lausitzer Straße

Auch Protest und Blockade konnten die Zwangsräumung nicht verhindern. | Foto: Frey
  • Auch Protest und Blockade konnten die Zwangsräumung nicht verhindern.
  • Foto: Frey
  • hochgeladen von Thomas Frey

Kreuzberg. Die Gerichtsvollzieherin war überpünktlich. Bereits wenige Minuten vor dem angesetzten Termin um 9 Uhr stand sie am 14. Februar vor der bisherigen Wohnung der fünfköpfigen Familie Gülbol in der Lausitzer Straße 8. Vater Ali Gülbol händigte ihr den Schlüssel aus und stand kurz darauf, auch im übertragenen Sinn, auf der Straße.

Dort hatten sich seit den Morgenstunden mehrere hundert Menschen versammelt, die das Überreichen des Räumungsbescheids verhindern wollten. Das gelang ihnen nicht, weil die Polizei, laut Eigenbezeichnung "Amtshilfe" leistete. Konkret bedeutete das: Rund 400 Einsatzkräfte waren vor Ort. In der Luft kreiste ein Hubschrauber. Zwei Eingänge zur Lausitzer Straße wurden abgesperrt. Auch den Gang zu Ali Gülbol trat die Gerichtsvollzieherin mit Begleitschutz der Polizei an. Sie wurde getarnt und auf Umwegen, nämlich über das um die Ecke liegende Gebäude Wiener Straße 13, ins Haus gebracht. Während sich draußen die Blockierer noch auf die kommenden entscheidenden Minuten einstellten, war drinnen das Ende einer langjährigen und zuletzt über Berlin hinaus verfolgten Auseinandersetzung bereits vollzogen.Malermeister Ali Gülbol, der seit Jahrzehnten in dem Gebäude lebt, hatte nach eigenen Angaben einst mit dem ehemaligen Vermieter vereinbart, dass er seine Wohnung auf eigene Kosten gründlich saniert. Dafür sollte die Miete nicht erhöht werden. Nach dem Verkauf des Hauses fühlte sich der neue Besitzer André Franell, an diese Abmachung nicht gebunden und verlangte mehr Geld. Die Gülbols zahlten nicht, es kam zum Prozess. Dort konnten sie die Verabredung nicht beweisen und wurden zur Nachzahlung verpflichtet. Die hätte in einer bestimmten Frist erfolgen müssen, passierte aber erst danach. Deshalb erfolgte die Kündigung.

Der Fall rief zahlreiche Unterstützer auf den Plan, die hier ein besonders krasses Beispiel von Mietwucher und Verdrängung sahen. Bereits am 22. Oktober sollte die Räumung eigentlich vollzogen werden. 150 Aktivisten blockierten damals den Zugang, die Gerichtsvollzieherin konnte den Räumungstitel nicht aushändigen und musste unverrichteter Dinge wieder abziehen. Diese Ereignisse waren der Grund für die jetzt groß angelegte Amtshilfe.

"Ich bin kein Verbrecher", sagt Ali Gülbol. Dass jemand, obwohl langjähriger Mieter und anständiger Bürger aus seiner Wohnung geklagt werden kann, deckt sich nicht mit seinem Empfinden von Recht und Gesetz. Aber er sei nur ein Beispiel für inzwischen Tausende von Zwangsräumungen jedes Jahr in Berlin. Nur mit dem Unterschied, dass die meisten davon völlig unbemerkt ablaufen.

Während rund um die Lausitzer Straße das Geschehen weitgehend friedlich blieb, kam es danach in Folge einer Spontandemonstration von der Wiener Straße nach Neukölln zu Auseinandersetzungen und Sachbeschädigungen. Die Polizei nahm zehn Personen fest. Bereits am Morgen hatte es in Kreuzberg und Friedrichshain mehrere Brandanschläge gegeben. Gegen 8.15 Uhr brannten am Wassertorplatz acht Autoreifen. Wegen der starken Rauchentwicklung wurde der Zugverkehr der U1 zwischen Kottbusser Tor und Warschauer Straße etwa eine halbe Stunde unterbrochen. Feuer gelegt wurde auch an einer Ampel an der Oberbaumbrücke. Und bereits gegen 5.45 Uhr zogen Unbekannte vier Autos auf die Fahrbahn des Strausberger Platzes und zündeten sie dort an.

Ob diese Taten in Zusammenhang mit der Zwangsräumung stehen, wird derzeit ermittelt.

Thomas Frey / tf
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

47 folgen diesem Profil

Kommentare

Kommentare sind deaktiviert.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 129× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 112× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 188× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 575× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.