Archäologen graben Mauerreste und alte Keller am Nordbahnhof aus

Wasserleitungen und Abwasserrohre zum Wachturm: Grabungsleiter Manuel Escobedo auf dem Mauergrundstück in der Gartenstraße. | Foto: Dirk Jericho
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Mitte. Bevor die Investoren die Brache auf dem letzten freien Grundstück am Nordbahnhof bebauen dürfen, legen Archäologen die Spuren der Grenzmauer frei.

Die zahlreichen Spuren der einstigen Grenzanlage, die Archäologen seit mehr als sechs Wochen ausgegraben haben, werden derzeit sorgfältig vermessen, fotografiert, gezeichnet und umfassend dokumentiert. Die Grabungen sind Auflage für den Investor ARB Investment, der ab Oktober auf dem geschichtsträchtigen Mauergrundstück ein sechsgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus mit 85 Mietwohnungen, Büros, Restaurants, kleinen Läden und einem großen Bio-Supermarkt bauen will.

Bevor die Bulldozer die Geschichte abräumen, hat Thomas Jeutner, Pfarrer der Versöhnungsgemeinde, eine Führung über das Grabungsareal organisiert. Vor allem seine ehrenamtlichen Kirchenhüter, die in der Kapelle der Versöhnung in der Mauergedenkstätte freiwillig Besucherdienst machen, wollten wissen, was hier war. Die Kirchenhüter sind schließlich nicht nur Türsteher, sondern auch kleine Mauerexperten, die den Touristen viel über die schwer bewachte Grenze und das DDR-Regime erzählen können. Dorli Gissler zum Beispiel, seit Jahren Kirchenhüterin in der Versöhnungskapelle, ist gekommen, weil sie sich für die Mauergeschichte interessiert und an der Mauerstraße großgeworden ist.

Fundamente, Stacheldraht, Konservendosen

Die Archäologen haben eine Menge Relikte aus dieser Zeit gefunden: alte Fundamente von Panzersperren, Zaunpfeiler der ersten Mauergeneration mit Stacheldrahtzaun, Lichttrassen, Signalzäune und das Fundament des Wachturms, von dem aus die Grenzsoldaten freien Blick auf den Grenzstreifen entlang der Bernauer Straße und in nördliche Richtung entlang der Gartenstraße hatten. Die Mauer machte hinter dem S-Bahneingang einen rechtwinkligen Knick. Von dort wurden auch Flüchtlinge erschossen.

Die DDR-Oberen ließen auf den alten Kellern des 1973 abgerissenen früheren Bahngebäudes die Grenzanlagen mit mindestens zwei Wachtürmen bauen. Den zweiten will Grabungsleiter Manuel Escobedo noch ausbuddeln und dokumentieren, bevor das Gelände plattgemacht wird. Auf den freigelegten Kellerresten sieht man, wie die DDR-Grenzbauer Postenweg und Leitungen einfach über den Häuserschutt gelegt haben. Dicke Abwasserrohre verlaufen auf der Kellerdecke zum Wachturm; die Soldaten hatten dort auch eine Toilette. Im Wachturm hat das Team der Archäologiefirma ABD-Dressler, die bereits vor acht Jahren Mauerreste und alte Keller in der Gedenkstätte Bernauer Straße freigelegt hat, auch Verpflegung der Wachmannschaften gefunden: leere Konservendosen mit Thüringer Rotwurst oder Fisch.

Die Grabungsfirma hatte nur den Auftrag, die Mauerreste zu dokumentieren. Unter dem Postenweg aber wurde auch eine Drehscheibe aus Beton und Ziegelsteinen vom Stettiner Bahnhof gefunden, auf der kleinspurige Loks umgesetzt werden konnten. Grabungshelfer Boris Freytag erzählt, dass er unter altem Kopfsteinpflaster eine Glasmarke einer Flasche gefunden hat, auf der im Boden die Jahreszahl 1777 stand.

Je eine Komponente der gefundenen Mauerrelikte kommt ins Lager der Mauergedenkstätte, ansonsten verschwindet alles auf der Schuttdeponie. Die Mauergeschichte vom Grundstück Gartenstraße 85-87 gibt es dann nur noch in Dokumentationen.

Info: Das Quartier am Nordbahnhof

Die Firma ARB Investment (unter anderem Treptowers mit dem Molecule Man) baut auf der letzten Mauerbrache ab Oktober ein sechsgeschossiges Wohn- und Geschäftshaus. Die Grabungen sind Ergebnis intensiver Planungen mit den Denkmalschützern und der Mauergedenkstätte. Auch das Baukollegium von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hatte sich mit diesem besonderen Grundstück befasst.

Der neungeschossige Wohnturm im Schenkel der einstigen Mauer als Reminiszenz an den dortigen Wachturm war den Behörden zuviel Anspielung. Das historische Backsteinportal des Nordbahnhofs wird in den Gebäudekomplex integriert. Durch das Gebäude verläuft eine öffentliche, glasüberdachte Passage von der Gartenstraße zum Elisabeth-Schwarzhaupt-Platz, so dass man von der Tram-Haltestelle zukünftig direkt zur Mauergedenkstätte laufen kann.

Ende 2019 soll das 50 Millionen Euro teure Wohn- und Geschäftshaus auf dem einstigen Todesstreifen fertig sein. DJ

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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