Theater ohne Allüren: Freie Volksbühne feiert 125. Geburtstag

Volles Haus: Zur Eröffnung der Schau im Wilmersdorfer Vereinshaus herrschte dichtes Gedränge bis in den späten Abend. | Foto: Schubert
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Wilmersdorf. Wenn sich der Vorhang hebt, muss dass nicht zwangsläufig einen elitärer Zeitvertreib bedeuten. Die Freie Volksbühne steht für das Theater des kleinen Mannes - und der bildungsbewussten Frau. Eine Jubiläumsausstellung erinnert nun an die goldenen Zeiten.

In Reihe eins zu sitzen, das war nicht immer ein Tribut ans dicke Portemonnaie. Es gab Jahre, da galten andere Prinzipien. Schwerhörige in Reihe eins - ein entsprechender Pass der Freien Volksbühne machte genau das möglich.

Kein Zweifel: In der Geburtstagsausstellung des gleichnamigen Vereins ist dieses Dokument einer Dame "mit Ohrenleiden" Frank-Rüdiger Bergers Lieblingsstück. Als Vorstandsmitglied und Kurator der Schau durchforstete Berger wochenlang Archive, sichtete eigene Bestände, sprach mit langjährigen Volksbühnenfreunden. Und heraus kam eine Präsentation, die in durchaus angenehmer Weise nostalgische Gefühle weckt. Die alten Flugblätter, Eintrittskarten, Fotografien vom Besuch des Bundespräsidenten Theodor Heuss. All das führt heran an die Blütezeit des Theaterlebens. Bildung ohne Elitedenken. Ausgehkultur frei von Allüren. Eine Philosophie, in Vitrinen verpackt.

"Einfache Leute konnten sich Theaterbesuche überhaupt nicht leisten", sagt Berger. "Und die Volksbühne machte das möglich, indem sie für ihre Mitglieder Bühnen mietete." Wer wo saß, entschied das Los. Selbst sozialkritische Stücke von Gerhart Hauptmann, die eigentlich der preußischen Zensur unterlegen hätten, brachte man dank einer Sonderregelung den Menschen nah.

Ausgangspunkt der Volksbühnenbewegung war ein Aufruf aus dem Munde des Denkers Bruno Wille, der am 23. März 1890 "die Kunst dem Volke" gewidmet sehen wollte. Es sollte aber von da an noch 25 Jahre dauern, bis das erste eigene Theater entstand: die Volksbühne am heutigen Rosa-Luxemburg-Platz im Bezirk Mitte. Durch die Teilung Berlins war eine Spaltung der über 100 000 Mitglieder starken Bewegung aber nicht zu verhindern. Während die Volksbühne im Osten eigene Wege ging, erbauten die West-Berliner in der Schaperstraße das Theater "Freie Volksbühne Berlin", heute bekannt als "Festspielhaus", geführt vom Bund.

Im nahe gelegenen Siegfried-Nestriepke-Haus in der Ruhrstraße 6 verlegten sich die Theaterfreunde vornehmlich auf ideelle Aktivitäten. Und versorgen die 6000 Mitglieder bis heute mit bis zu 40 Prozent vergünstigten Karten für fast alle Berliner Bühnen. Allerdings ist dies laut Berger nur ein Teil des Barriereabbaus. "Es geht uns auch um das Vermitteln von Wissen, das Schaffen von Verständnis für diese Art von Kultur." Volkstümlicher Theatergenuss war und ist in erster Linie eine Frage der Einstellung - erst in zweiter Hinsicht Sache des Geldes.

Zur Ausstellung im Geschäftshaus in der Ruhrstraße 6 bietet die Freie Volksbühne kostenlose Führungen an. Die Termine: 20. April, 18 Uhr, 2. Juni, 16.30 Uhr und 22. Juni, 18 Uhr. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Die regulären Öffnungszeiten: Mo-Fr 10 bis 18 Uhr, Sa 10 bis 14 Uhr.
Thomas Schubert / tsc

Volles Haus: Zur Eröffnung der Schau im Wilmersdorfer Vereinshaus herrschte dichtes Gedränge bis in den späten Abend. | Foto: Schubert
Verlorene Vielfalt: Kurator Frank-Rüdiger Berger (l.) und Volksbühnen-Vorstandsvorsitzender Professor Dietger Pforte entdecken auf einer alten Karte Theaterstandorte, die es nicht mehr gibt. | Foto: Schubert
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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