Unter der Erde in die Freiheit
Die Heidelberger Straße war der Ort mehrerer erfolgreicher Tunnelfluchten

Die Heidelberger Straße trennt Neukölln (links) von Alt-Treptow. | Foto: Ralf Drescher
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Die Heidelberger Straße trennt Neukölln von Bezirk Treptow-Köpenick. Von 1961 bis 1989 war hier Grenzgebiet.

Weil es von den Häusern auf Neuköllner Seite bis zu den Kellern der Treptower Nachbarn nur 25 Meter waren, wurde die Heidelberger Straße zum Ort für Tunnelgräber zwischen Ost und West. Mehrere Gedenktafeln erinnern daran.

Im Frühjahr 1962 buddelte unter der Kreuzung Heidelberger Straße/Elsenstraße der Radsportler Harry Seidel (heute 81) von einer Neuköllner Kneipe in Richtung Treptow. „Am 11. Juni 1962 gelang auf diesem Weg 55 Menschen die Flucht in den freien Teil der Stadt“, vermeldet eine 2005 vom Bezirk Treptow-Köpenick im Straßenbelag eingelassene Gedenktafel. Die Berliner Woche war im März 2004 dabei, als Bauarbeiter bei der Verlegung einer Fernwärmeleitung in der Elsenstraße in nicht einmal drei Meter Tiefe auf Reste des Fluchttunnels stießen. Harry Seidel besichtigte stolz seine Qualitätsarbeit, die auch nach über 40 Jahren trotz des Straßenverkehrs nicht komplett eingestürzt war.

Ein weiterer Fluchttunnel wurde 2012 im Keller des Hauses Heidelberger Straße 35 wiederentdeckt. Die früheren Tunnelbauer hatten dort gemeinsam mit dem Verein Berliner Unterwelten die Reste freigelegt und dokumentiert. Dieser Tunnel war bereits im März 1962 zum gegenüberliegenden Haus Heidelberger Straße 75 im Osten gegraben worden. Vom 22. bis 27. März flohen dort 50 Ostberliner in den Westen. Dann wurde der Tunnel von einem Stasispitzel entdeckt und verraten. Als Fluchthelfer Heinz Jercha am 27. März erneut Menschen auf Treptower Seite abholen wollte, geriet er in einen Hinterhalt der Staatssicherheit. Ein Geschoss aus der Pistole eines Stasileutnants traf ihn in den Rücken. Er kroch noch zurück nach Neukölln und starb auf dem Weg ins Krankenhaus.

Die Heidelberger Straße war wegen des geringen Abstands der Häuser in Ost und West und wegen des niedrigen Grundwasserstands für den Tunnelbau gut geeignet. „Da es ungefähr zwei Meter unter der Straße eine tragfähige Torfschicht gab, konnten wir auf Abstützungen verzichten, so ein Tunnel war innerhalb weniger Tage fertig“, erinnert sich Fluchthelfer Harry Seidel.

Wie viele Tunnel in diesem Bereich gebaut wurden, ist nicht bekannt. Allein unter der Heidelberger Straße sollen aber rund 150 Menschen aus der SED-Diktatur in die Freiheit gelangt sein. Auch am Haus Heidelberger Straße 35 erinnert eine Gedenktafel des Vereins Berliner Unterwelten an diesen Teil der jüngeren Berliner Geschichte. Bald war hier mit dem Tunnelbau jedoch Schluss. Die DDR-Grenzer zogen auf der Heidelberger Straße einen Graben. Man hätte im Grundwasser graben müssen, was technisch nicht möglich war. Das Haus Heidelberger Straße 75 wurde wegen der ständigen Fluchtgefahr später geräumt und dann von den DDR-Behörden abgerissen. Jetzt steht hier eine moderne Wohnanlage der Wohnungsgesellschaft Mitte. Den Verlauf der Mauer zeigt seit ein paar Jahren eine doppelte Pflasterreihe im Asphaltbelag der Heidelberger Straße.

Autor:

Ralf Drescher aus Lichtenberg

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