Das Wiedersehen der „Mauermädchen“
Rosemarie Badaczewski und Kriemhild Meyer trafen sich an der früheren Sektorengrenze

Rosemarie Badaczewski (links) und Kriemhild Meyer am gleichen Standort wie im August 1961. Im Hintergrund die Häuser der Harzer Straße. | Foto: Ralf Drescher
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  • Rosemarie Badaczewski (links) und Kriemhild Meyer am gleichen Standort wie im August 1961. Im Hintergrund die Häuser der Harzer Straße.
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Ein Tag Mitte Juni an der Harzer Straße. Sie trennt die Bezirke Treptow-Köpenick und Neukölln voneinander. Zwei ältere Damen und ein paar Fotografen mit ihren Kameras. So wird Geschichte geschrieben.

Denn Rosemarie Badaczewski und Kriemhild Meyer standen an dieser Stelle bereits am 16. August 1961. Zwischen den damals 15-Jährigen stand schon ein Teil der gerade im Bau befindlichen Mauer. Rosemarie stand in Treptow im damaligen Ostberlin, Kriemhild in Neukölln im Westteil der Stadt.

„Wir wohnten in Treptow, mein Vater arbeitete aber im Westen und ich besuchte eine Schule in Neukölln. Dort hatten mich meine Eltern angemeldet, weil sie nicht wollten, dass ich Russisch lerne“, erinnert sich Rosemarie Badaczewski noch 58 Jahre später. Das Treffen der beiden kurz nach dem Mauerbau ist in die Geschichte eingegangen. Denn vor Ort auf westlicher Seite stand Fotograf Horst Siegmann von der Landesbildstelle Berlin. Er fotografierte, wie sich die beiden jungen Frauen über dem ersten Mauerstück die Hand reichten, ein DDR-Grenzer lässt sie gewähren. Bereits kurz nach dem Mauerbau wurde das Foto in Zeitschriften gedruckt und wenig später erschien es als Symbol für die Teilung Berlins auch in Bildbänden und Geschichtsbüchern.

„Das Bild ist auch seit vielen Jahren in unserem Museum zu sehen, weil es ja an der Grenze des heutigen Bezirks Treptow-Köpenick entstand. Wir wollten schon immer wissen, wer die Frauen auf dem Foto sind“, erklärt Agathe Conradi vom Bezirksmuseum Treptow-Köpenick. Aus Anlass des Jahrestags des Mauerfalls vor 30 Jahren hatte das Museum deshalb die Suche gestartet. Zeitungen veröffentlichten den Aufruf an die Frauen, sich zu melden.
„Eine noch in Berlin lebende ehemalige Schulfreundin hatte das im März in der Berliner Woche gelesen und mir die Zeitung zugeschickt“, erzählt Rosemarie Badaczewski. Die 72-Jährige war wenige Tage nach Entstehung des berühmten Fotos mit ihrer Familie geflohen und hatte wenig später Berlin verlassen. Seit Jahrzehnten lebt sie in Gießen. Kurze Zeit später konnte auch das zweite „Mauermädchen“ ausfindig gemacht werden, Kriemhild Meyer lebt seit vielen Jahren in der Schweiz. Schnell war klar, dass es ein Wiedersehen geben soll. Deshalb hat der Bezirk Treptow-Köpenick die beiden Frauen eingeladen, dazu ein Programm und Zeitzeugengespräche organisiert.

Das Treffen 1961 war kein Zufall. „Der Vater von Rosemarie war ja am 13. August im Westen geblieben. Er hatte bei uns angerufen und mich gebeten, seiner Tochter Bescheid zu geben, dass sie mit ihrer Mutter in den Westen kommen soll. Da die Familie in Treptow kein Telefon hatte, wollte ich versuchen, diese wichtige Nachricht persönlich an der Mauer zu überbringen“, erklärt Kriemhild Meyer. Am 19. August gelang dann die Flucht von Rosemarie Badaczewski und ihrer Mutter. Von ihrem Wohnhaus in der grenznahen Mengerzeile gingen sie über den Hof zwei Häuser weiter, betraten eine Wohnung an der Harzer Straße und sprangen dort aus dem Hochparterre auf den Bürgersteig, der bereits zum Westbezirk Neukölln gehörte. „Dort stand eine Grüne Minna der Westberliner Polizei. Die Beamten hatten, von meinem Vater informiert, bereits auf uns gewartet“, berichtet Rosemarie Badaczeweski. Dann gab es noch einen großen Schreck. Im Polizeiauto saß bereits in DDR-Grenzpolizist. Der sollte eigentlich die Mauer bewachen, hatte aber gerade ebenfalls die Flucht angetreten.

Nach der Flucht haben sich die Mädchen nur noch einmal kurz gesehen, dann verloren sie sich aus den Augen. Erst die Zeitzeugensuche hat sie jetzt wieder zusammen gebracht. „Es ist schon beachtlich, wie viele Menschen sich noch nach 58 Jahren für unsere Geschichte interessieren“, freut sich Kriemhild Meyer. Die Wahlschweizerin hat ihre frühere Heimat Berlin aus der Ferne immer im Blick behalten. „Am 9. November 1989 war ich mit meinem Mann in einem Restaurant zum Abendessen. Dort liefen dann die Bilder vom Fall der Mauer in meiner früheren Heimatstadt. Da kamen mir die Tränen und ich habe wie ein Schlosshund geweint“, erinnert sie sich.

Bis zum nächsten Treffen der „Mauermädchen“ solle nun nicht mehr viel Zeit vergehen. Demnächst will Kriemhild ihre frühere Schulfreundin Rosemarie in Gießen besuchen.
Hier ein kurzes Video:

Autor:

Ralf Drescher aus Lichtenberg

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