Berliner Bezirk im Schatten der Mauer 

Gedenkstätte für die jüngsten Maueropfer Jörg Hartmann und Lothar Schleusener an der Kiefholzstraße. | Foto: Ralf Drescher
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  • Gedenkstätte für die jüngsten Maueropfer Jörg Hartmann und Lothar Schleusener an der Kiefholzstraße.
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Der frühere Bezirk Treptow stand auch immer im Schatten der deutschen Geschichte. Am 13. August 1961 wurden die Treptower von ihren Nachbarn in Neukölln und Kreuzberg getrennt.

Bis dahin war es Alltag, vom heutigen Kunger-Kiez mal ein paar Schritte zum Einkaufen an die Harzer Straße zu gehen, um ein Paket richtigen Kaffee oder ein paar Orangen und Bananen für die Kinder zu besorgen. Abends und am Wochenende gingen Treptower an die Sonnenallee ins Kino, um mal einen Film ohne SED-Propaganda zu genießen. Ein nicht geringer Teil der Treptower arbeitete sogar in einer der Unternehmen im Westsektor. Damit war am 13. August mit einem Schlag Schluss. Innerhalb von Stunden schlugen NVA-Soldaten, Volkspolizei und die sogenannten Kampfgruppen der Arbeiterklasse Stacheldrahtverhaue durch die Wohngebiete an Heidelberger Straße, Elsenstraße und Bouchéstraße. Hier bildete oft die Straße oder der Bürgersteig die Bezirksgrenze zwischen Treptow und Neukölln. Von einem Tag auf den anderen war das wechseln über die Straße und damit nach Neukölln nicht mehr möglich beziehungsweise mit Lebensgefahr verbunden. Kurzentschlossene nutzten in den ersten Tagen den Grenzverlauf durch Kleingartenanlagen oder an Flutgraben und Landwehrkanal für eine Flucht in den freien Teil der Stadt.
Mindestens 20 Menschen haben den Versuch einer Flucht über die 13 Kilometer Mauer zwischen dem damaligen Bezirk Treptow und den beiden westlichen Nachbarbezirken mit dem Leben bezahlt. Das bekannteste Maueropfer Chris Gueffroy starb wenige Wochen vor dem Fall der Mauer am 5. Februar 1989 beim Fluchtversuch am Britzer Verbindungskanal in Baumschulenweg. Die ganze Menschenfeindlichkeit zeigte der sogenannte Antifaschistische Schutzwall der DDR bereits am 14. März 1966. Da feuerte ein DDR-Grenzer auf zwei Kinder, Jörg Hartmann (10) und Lothar Schleusener (13) starben im Kugelhagel. Der Tod der Kinder wurde von den DDR-Behörden vertuscht, erst eine Lehrerin eines der Schüler brachte mit ihrer eigenen Flucht die Wahrheit über den Mauermord an den Schülern in den Westen.
Weil die Mauer im Ortsteil Alt-Treptow mitten durch Wohngebiete ging, gab es hier aber auch mehrere erfolgreiche Fluchten. So wurden 1962 gleich mehrere Fluchttunnel von der Neuköllner Seite der Heidelberger Straße in die Keller von den nur 25 bis 30 Meter entfernten Häuser auf Treptower Seite gegraben. Die Tunnel, rund zwei Meter unter der Straßenoberfläche, kamen ohne Abstützung aus, ihr Bau dauerte nur wenige Tage. Im Oktober 2004 fanden Bauarbeiter bei Schachtarbeiten an der Elsenstraße Reste eines solchen Tunnels. Der Autor machte den Tunnelbauer Harry Seidel ausfindig und traf sich mit ihm am „Tatort“ von 1962.
Am Abend des 9. November 1989 endete auch in Treptow nach 28 Jahren die unmenschliche Trennung der Berliner. Gegen 20,15 Uhr, gut eine Stunde nach der legendären Pressekonferenz von Schabowski, standen am Grenzübergang Sonnenallee die ersten zehn Ostberliner und forderten die Grenzöffnung. Kurz vor 22 Uhr kapitulieren dann an der Sonnenallee die Grenzer für der anwachsenden Menschenmenge und öffnen die Schranken.
An vielen Stellen erinnern noch Spuren an die Zeit der Teilung. Dort, wo sich die Mauer durch Wohngebiete zog wie an Elsen- und Bochéstraße markiert eine Doppelreihe aus Kopfsteinpflaster und Messingtafeln den früheren Grenzverlauf. An der Kiefholzstraße erinnert ein Mahnmal an die beiden erschossenen Kinder. Und am Ufer des Britzer Verbindungskanals ehrt eine eiserne Stele das letzte Maueropfer Chris Gueffroy, außerdem trägt die frühere Britzer Allee seit 2010 den Namen des von DDR-Grenzern erschossenen Treptowers.

Autor:

Ralf Drescher aus Lichtenberg

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