"Mit Veränderungen rechnen"
Gespräch mit dem scheidenden Bürgermeister Michael Grunst
Nachdem CDU, SPD und Grüne mit ihrer Zählgemeinschaft Martin Schaefer (CDU) zum Bürgermeister von Lichtenberg wählten, hat der bisherige Bürgermeister Michael Grunst (Die Linke) das Bezirksamt verlassen. Über einen Rückblick auf seine Amtszeit sprach er mit Berliner-Woche-Reporter Bernd Wähner.
Sie waren seit 2016 Bürgermeister. Was motivierte Sie, in dieser Funktion für Lichtenberg zu arbeiten?
Michael Grunst: Ich wohne seit 43 Jahren in Lichtenberg. Da bin ich natürlich im Bezirk verwurzelt. Wenn man so lange in dem Bezirk lebt, kennt man viele Menschen, man kennt die Probleme und Chancen, man sieht die Politik aus Sicht der Lichtenbergerinnen und Lichtenberger und kann sie dahingehend gestalten. Dieser Gestaltungsspielraum macht es zum schönsten Job der Welt.
Mit Rückblick auf die vergangenen sieben Jahre: Was war aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung?
Michael Grunst: Die Ausgangssituation im Dezember 2016 war schwierig. Wir hatten einen langjährigen Personalabbau in der Bezirksverwaltung. Es gab zum Beispiel die Proteste der Jugendämter, die mehr Personal forderten. Als erstes haben wir im Bezirksamt deshalb dafür gesorgt, dass der Personalabbau gestoppt wird. Wir mussten die Verwaltung so aufstellen, dass sie arbeitsfähig ist. Das Thema Personalmangel hallt aber immer noch nach. Aktuell haben wir in der Bezirksverwaltung etwa 200 unbesetzte Stellen. Ein Grund dafür ist auch, dass nicht richtig ausgebildet wurde. Es fehlt eine ganze Generation Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Da muss sich sukzessive etwas tun. Auf der anderen Seite stellten wir fest, dass diese Situation mit einem Wachstumsprozess im Bezirk einherging. Vor zehn Jahren lebten 260 000 Menschen im Bezirk, heute sind es 308 000 Menschen. Und die Herausforderung ist, dass die Verwaltung mit diesem Wachstum mithalten und funktionieren muss.
Was hat das Bezirksamt mit Ihnen als Bürgermeister an wichtigen Aufgaben umsetzen können, wo kam Lichtenberg voran?
Michael Grunst: Es war immer eine Teamleistung von allen. Als ich Ende 2016 ins Amt kam, haben wir wichtige Entscheidung getroffen. Mir war wichtig, Politik aus dem Blickwinkel der Lichtenbergerinnen und Lichtenberger zu gestalten. Vor allem die Vielfalt, die Lichtenberg ausmacht, rückte stärker in den Fokus der politischen Entscheidungen. Die soziale Situation der Menschen stand im Mittelpunkt unserer Anstrengungen für eine familiengerechte Kommune. Wichtig waren Unterstützungssysteme für Alleinerziehende, der Kampf gegen Kinderarmut, der Kita- und Schulausbau, das Regenbogenfamilienzentrum. Wir haben den für die Aufrechterhaltung der Verwaltung verheerenden Personalabbau gestoppt. Das Schulamt und auch das Baumanagement wurden personell verstärkt. Im Ergebnis sind von 15 000 Schulplätzen, die in Berlin seit 2017 entstanden sind, die Hälfte allein in Lichtenberg geschaffen worden. Hier wurden außerdem seit 2017 jedes Jahr 2000 Wohnungen gebaut, vor allem städtische und genossenschaftliche. Natürlich gab es bei allem Erreichten auch immer mal wieder Rückschläge.
Welche sind das aus Ihrer Sicht?
Michale Grunst: Zum Beispiel das Thema Innenhofbebauung. Ich denke, hier muss die Wohnungsbaugesellschaft Howoge ihre Politik der letzten Jahre komplett überdenken. Die Wohngebiete wurden von den Architekten damals bewusst so geschaffen: hohe Häuser – und grüne Innenhöfe als Freiflächen beziehungsweise für soziale Infrastruktur. Diese Höfe sollten ganz bewusst nicht weiter zugebaut werden. Wenn heute Innenhofbebauungen geplant werden, empfehle ich der Howoge, aber auch Politikerinnen und Politikern, sich mal mit den früheren Stadtplanern der Wohngebiete zu unterhalten, was deren Grundidee war.
Ein weiteres Thema ist die Verkehrsinfrastruktur, die mit dem Bevölkerungswachstum nicht mitwächst. Ich glaube, hier war der Senat in den letzten Jahren zu sehr innenstadtzentriert ausgerichtet. Lichtenberg ist um knapp 50 000 Menschen gewachsen, aber massive Investitionen in den ÖPNV nahm ich nicht wahr. Es gab immer nur kleckerweise Veränderungen, wie Verdichtungen von Bus- und Straßenbahntakten. Eine besser funktionierende S-Bahnanbindung, Verbesserungen im Straßenbahnnetz, die Einrichtung neuer Buslinien oder die Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur: Da passierte zu wenig und es geht vor allem viel zu langsam. Ich denke, das alles ist aber dringend notwendig, wenn wir die Menschen dazu bringen wollen, ihr Auto auch mal stehen zu lassen.
Was mich auch bedrückt, ist die Frage der Mietentwicklung im Bezirk, aber auch generell in Berlin. Da fehlen einfach Instrumente, um gegenzusteuern. Wir haben zwar drei Milieuschutzgebiete in Lichtenberg, was für die Sicherung bestehender Mietverhältnisse wichtig ist. Und wir haben viel genossenschaftlichen und städtischen Wohnungsbestand, was die Mietentwicklung noch etwas dämpft. Aber auch Lichtenberg ist nicht frei von explodierenden Mieten. Da geben Mieter teilweise 40 oder 50 Prozent ihres Einkommens für die Miete aus. Das sparen sie sich vom Mund ab. Wir brauchen deswegen endlich einen bundesweiten Mietendeckel.
Auch wenn Sie nicht mehr dabei sind: Worauf sollte sich das Bezirksamt in nächster Zeit vor allem fokussieren?
Michael Grunst: Die Verwaltung muss ihre Angebote und Dienstleistungen zeitnah anbieten. Das betrifft nicht nur die Bürgerämter. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind hoch engagiert, daran liegt es nicht. Die Abstimmungen mit dem Senat müssen besser funktionieren. Hier muss es strukturelle Veränderungen in der Aufgabenverteilung zwischen Bezirken und Senat geben. Es braucht klare Festlegungen in den Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Ein Beispiel, wie es nicht laufen sollte, war die Wohngeldreform, die am 1. Januar 2023 in Kraft trat. Die ist eine tolle Sache, weil mit ihr der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert wurde. Aber wenn die Bezirke erst im November vom Senat grünes Licht bekommen, dass sie Personal einstellen, Räume anmieten und die Voraussetzungen für die Umsetzung der Reform schaffen dürfen, dann ist das völlig unverständlich. Das erzeugt Frust bei den Menschen.
Weitere Themen, die aus meiner Sicht wichtig sind: Trotz Flächenkonkurrenz müssen alle Kleingartenanlagen und das Stadtgrün erhalten bleiben, weil sie eine wichtige Funktion in der Stadt haben. Wir müssen die Stadt klimaresilienter gestalten und planen. Und vor allem muss der soziale Zusammenhalt weiterhin funktionieren.
Was hätten Sie als Bürgermeister gern noch umgesetzt?
Michael Grunst: Ich hätte gern noch den Grundstein für das Kultur- und Bildungszentrum im künftigen Urbanen Zentrum in Hohenschönhausen gelegt. Und ich hätte gern noch weiter den Prozess der Öffnung der Verwaltung für alle im Bezirk lebenden Bevölkerungsgruppen begleitet. Wir haben einen riesigen Bedarf an Fachkräften. Mit der vietnamesischen Community haben wir dazu bereits Gespräche geführt, aber wir haben auch eine starke syrische, russischsprachige und inzwischen auch ukrainische Community.
Bleiben Sie weiterhin im Bezirk politisch aktiv?
Michael Grunst: In der Kommunalpolitik macht man die Tür nicht einfach zu. Natürlich werde ich weiterhin aktiv bleiben. Beruflich werde ich mich neu orientieren. Mit Veränderungen muss man als Politiker sowieso immer rechnen. Na ja, und ich Ostdeutscher weiß ich ohnehin auch mit Veränderungen umzugehen.
Autor:Bernd Wähner aus Pankow |
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