"Das Virus ist immer noch Thema"
Interview mit Amtsärztin Gudrun Widders über die Corona-Krise
Sie war in der Hochzeit der Corona-Krise die wohl gefragteste Person in Spandau: Gudrun Widders, Leiterin des Gesundheitsamtes. Im Interview mit Spandauer-Volksblatt-Reporterin Ulrike Kiefert gibt die Amtsärztin Einblicke in die Arbeit ihres Teams und zieht auch persönlich Bilanz.
In der Corona-Krise kam niemand an Ihnen vorbei. Wie geht es Ihnen heute?
Gudrun Widders: Viel besser als in den ersten Märzwochen. Da war die Arbeitszeit tatsächlich heftig, auch an den Wochenenden. Schon früh morgens klingelte das Telefon, zeitweise bis nach Mitternacht. Kliniken, Abstrichstellen, Labore, Polizei, Hausärzte – alle hatten Fragen oder wollten Befunde durchgeben. Hinzu kamen die täglichen Sitzungen. Jeden Morgen um 8 Uhr saß der Arbeitsstab Gesundheit zusammen, um 12 Uhr der Krisenstab, um 14 Uhr dann Telefonkonferenz mit dem Gesundheitssenat und, und, und. Ich war abends fast nie vor 22 Uhr zu Hause.
Was waren zu Beginn der Krise die Schwierigkeiten?
Gudrun Widders: Wir wurden sozusagen von jetzt auf gleich überrollt. Wir mussten handeln und zwar sofort. Das hieß, eine funktionierende Struktur aufbauen, Teams aufstellen, eine Abstrichstelle einrichten, eine lückenlose Kommunikation organisieren, das Personal schulen. Wir wussten am Anfang nur wenig über das Virus. Wie hoch ist die Ansteckungsgefahr? Wer hat ein erhöhtes Risiko? Und wir wussten nichts darüber, ob eine Immunität entsteht und wie lange sie andauert. Heute wissen wir, dass sich nach einer Infektion eine Immunität entwickeln kann. Wir wissen aber unverändert nicht, wie lange sie anhält.
Wann hatten Sie und Ihr Team die Lage im Griff?
Gudrun Widders: Nach etwa zweieinhalb Wochen waren wir so aufgestellt, dass wir adäquat auf die Situation reagieren konnten. Ich habe ein hochmotiviertes Team, das hat die Ärmel hochgekrempelt und losgelegt. Wie viele Fälle haben wir, wo kommen die Leute her, die infiziert sind, wer muss in Quarantäne? Wir waren dann auch personell in der Lage, sämtliche Kontaktpersonen zu ermitteln und auch die Kontakt-Nachbetreuung zu organisieren. Wer in Quarantäne war, bei dem haben wir uns alle zwei Tage telefonisch erkundigt, ob er Symptome hat, eine medizinische Versorgung braucht und jemand hat, der ihm Lebensmittel vor die Tür stellt. Die größte Herausforderung war, das alles im Blick zu behalten. In der Hochzeit hatten wir immerhin 17 bis 20 neue Corona-Fälle am Tag.
Wie sah die Organisationsstruktur in der Hochzeit der Krise aus?
Gudrun Widders: Unser Team bestand anfangs nur aus acht Leuten. Die Zahl haben wir in der Hochzeit der Pandemie auf 124 Mitarbeiter aufstocken können. Denn das Gesundheitsamt bekam massive Unterstützung aus anderen Bereichen der Verwaltung, vor allem aus der Stadtbibliothek. Mitarbeiter aus dem Grünflächenamt, Jugendamt, der Personalverwaltung und anderen Ämtern haben uns ebenfalls unterstützt. Auch das Ordnungsamt bekam zusätzliche Aufgaben. Außerdem haben wir zwischendurch zur Unterstützung fünf Bundeswehrsoldaten bekommen, die Telefonate übernommen haben. In der Hochzeit waren im Gesundheitsamt fünf Teams aktiv. Das Team der Gesundheitsaufseher, die Teams für die Hotline und die Abstriche, für die Organisation und die Kontaktbetreuung.
Wie sieht die Lage heute aus, die sich natürlich jeden Tag wieder ändern kann?
Gudrun Widders: Wir haben bis heute etwa 400 Covid-19-Fälle in Spandau. Das sind im Vergleich zum Bezirk Mitte zum Beispiel relativ wenig. Anfangs waren eher Leute betroffen, die von Reisen zurückkamen oder Clubs besucht hatten. Familien waren kaum darunter. Als die Kitas wieder öffnen durften, haben wir in einer Kita in der Heerstraße Nord die Kinder und Erzieher getestet. Alle Testergebnisse waren negativ. Heute haben wir es mehr mit Großfamilien zu tun. Die Kinder spielen draußen, stecken sich untereinander an und dann ihre Eltern. Kinder müssen selbst nicht erkranken, können das Virus aber weitergeben. In Kitas und Schulen hat es sich glücklicherweise nicht ungehemmt verbreitet, da wir Lehrer und Schüler, die infiziert waren oder Kontakt hatten, rechtzeitig getestet und in Quarantäne geschickt haben. Eine Schule haben wir vorsorglich geschlossen.
Spandau wurde im Nachhinein viel gelobt. Was hat das Gesundheitsamt besser gemacht als andere Bezirke?
Gudrun Widders: Wie gesagt, wir hatten es in zweieinhalb Wochen geschafft, eine gut funktionierende Struktur aufzubauen. Da wir weniger Fallzahlen als andere Bezirke hatten, konnten wir die Lage gut beherrschen. Was wir anders gemacht haben? Wir haben beim Quarantäne-Ende auf ein negatives Testergebnis gesetzt. Das heißt, bevor jemand die häusliche Quarantäne verlassen durfte, haben wir ihn nochmals getestet, selbst wenn er keine Symptome hatte. Das war vom Robert Koch-Institut zunächst so nicht empfohlen. Die relativ geringe Zahl der Infizierten in Spandau aber beweist: Wir haben richtig gehandelt, auch mit unserer akribischen Recherche der Kontaktpersonen und der schnellen Quarantäne. Und ich möchte noch einmal ausdrücklich mein Team loben. Das hat hervorragend gearbeitet, war immer guter Stimmung, und ich konnte mich komplett auf alle verlassen.
Die Krise hat gezeigt, wie unterbesetzt die Gesundheitsämter sind. Bekommt Spandau jetzt mehr Stellen?
Gudrun Widders: Der Senat hat jedem Gesundheitsamt fünf neue Stellen zugesichert, also auch uns. Uns fehlen heute elf Stellen im Amt, vor drei Jahren waren es noch 33. Mehr Personal braucht aber auch mehr Räume. Das ist die nächste Herausforderung.
In anderen Interviews hatten Sie bedauert, dass für alle möglichen Leute geklatscht wurde, nur nicht für die Gesundheitsämter. Hat sich das geändert?
Gudrun Widders: Ja, das hat sich geändert. Aber anfangs wurden wir in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Wir sind aber genauso wichtig wie die ambulante oder stationäre Versorgung. Im Bezirksamt wird das Gesundheitsamt hoch anerkannt und unterstützt. Unser Gesundheitsstadtrat steht voll hinter uns, in jeder Hinsicht.
Ist das Gesundheitsamt jetzt wieder zur Normalität zurückgekehrt?
Gudrun Widders: Nicht wirklich. Wichtige Aufgaben wie der Kinderschutz und die Krisenintervention werden natürlich unverändert wahrgenommen. Aber Schuleingangsuntersuchungen zum Beispiel finden in diesem Jahr nicht statt, nur in Fällen, wo es notwendig ist. Das Virus ist immer noch Thema bei uns. Wir haben an manchen Tagen schon wieder so viele Corona-Fälle wie in der Hochzeit. Der Krisenstab tagt deshalb weiterhin regelmäßig, die Hotline bleibt, und wir haben auch die Teams nicht aufgelöst, sondern zusammengelegt. Im Fall der Fälle sind wir schnell wieder einsatzbereit.
Die Krise hat den Alltag aller durcheinandergewirbelt. Was hat sich für Sie persönlich geändert?
Gudrun Widders: Alles hat sich bei mir um Corona gedreht, beruflich wie privat. Meinen Mann habe ich kaum noch gesehen. Wenn er gegen 22 Uhr nach Hause kam, war der Tag schon vorbei. Er arbeitet im Gesundheitsministerium in Brandenburg und hat selbst mit der Corona-Krise zu tun. Mitten in der Krise kamen meine Eltern in eine Pflegeeinrichtung. Das haben meine Geschwister übernommen, weil ich von der Arbeit einfach nicht wegkam. Jetzt ist es so, dass jeder erwartet, dass ich wie vorher funktioniere, also wieder andere Aufgaben übernehme. Das ist aber nach wie vor kaum möglich.
Was empfehlen Sie den Spandauern?
Gudrun Widders: Das Virus hat nichts an seiner Gefährlichkeit verloren. Das unterschätzen leider viele Menschen. Bei jedem kann der Krankheitsverlauf schwer sein, das weiß vorher niemand. Darum ist das Corona-Virus ja so tückisch. Also unbedingt draußen eine Schutzmaske tragen, Abstand halten und regelmäßig die Hände waschen.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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