Im Porträt: Samers Flucht aus Syrien

Samer war 3 Jahre im Gefängnis, weil er nicht auf seine Landsleute schießen wollte. | Foto: Angelika Ludwig
  • Samer war 3 Jahre im Gefängnis, weil er nicht auf seine Landsleute schießen wollte.
  • Foto: Angelika Ludwig
  • hochgeladen von Angelika Ludwig

Neukölln. Flüchtlinge sind Menschen, die ihr Zuhause verlassen mussten, um ihr Leben zu retten. Doch wie geht es weiter - hier in Berlin? Die Berliner Woche schaut hinter die Türen der Flüchtlingsheime und stellt einige der neuen Nachbarn vor.

„Es gibt überall Kriminelle, auch unter den Geflüchteten. Doch die Mehrheit möchte hier friedlich leben und arbeiten.“ Samer, ein Mittdreißiger aus Syrien ist Deutschland sehr dankbar für die Aufnahme. Sein Weg führte ihn vor knapp einem Jahr über die Türkei und der Balkanroute nach Berlin-Neukölln. Doch momentan merkt er eine schleichende Veränderung im Verhalten der Menschen ihm gegenüber, eine größere Distanz. Er wirkt beunruhigt über den plötzlich gestörten Frieden in Deutschland. Hinzu kommen die Sorgen um die Bombardierungen auf seine Heimatstadt Idlib. Seine Frau und Tochter wohnen dort. Sie wollten ihn aus Angst nicht auf der Flucht begleiten. Täglich skypt Samer mit der inzwischen 8-jährigen Tochter. „Es ist mein größter Wunsch, bald ihr Lachen wieder zu hören, in einer eigenen Wohnung, die ich durch einen Job selber bezahlen kann.“

Bisher darf der Syrer nicht arbeiten, weil es noch keine Entscheidung über den Aufenthaltsstatus gibt. In der Zwischenzeit möchte Samer seine Zeit sinnvoll nutzen. Er gründete mit anderen Syrern eine Initiative, um Neuankömmlingen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, sie mit den Regeln des Zusammenlebens in Deutschland vertraut zu machen. Der aktive und entscheidungsfreudige Mann hat in seinem Leben immer einen Ausweg gefunden. Als er studieren wollte, fehlte der Familie das Geld, denn in Syrien ist ein Studium teuer. „Meine einzige Chance war die Armee.“ Dort konnte er Ingenieurwissenschaften studieren. „Meine Mutter war damals stolz auf mich, denn ich war als Sunnit in einer von Aleviten dominierten Truppe aufgenommen worden.“ Samer wirkt sehr nachdenklich, als er davon erzählt: Mit dieser Entscheidung hatte er sich auch zum Militärdienst verpflichtet.

2006 bis 2011 arbeitete er als Ingenieur auf dem Militärstützpunkt in Latakia. „Leider entwickelte sich das Land unter Assad keinen Zentimeter weiter.“

Deutschland als Vorbild

Es macht ihn heute noch wütend, wenn er daran denkt, wie alle Hoffnungen auf eine Veränderung sich verflüchtigten. „Das Militär und die Sicherheitsdienste wurden immer stärker. Ich hatte es satt, auf Schritt und Tritt von der Stasi beobachtet zu werden, Rechenschaft abzulegen, welche Leute ich traf oder ob ich in die Moschee gegangen bin, was mir als Soldat nicht erlaubt war.“ Als der freiheitsliebende Mann sich auch noch weigerte, auf die Demonstranten zu schießen, die sich für freie Wahlen einsetzten, landete er mit anderen Verweigerern im Gefängnis. "10 Jahre lautete das Urteil, ohne Gerichtsverhandlung. Nach drei Jahren wurde ich entlassen. Warum weiß ich bis heute nicht." Tränen stehen dem starken Mann in den Augen, „viele meiner Mithäftlinge haben die Strapazen dort nicht überlebt.“

Samer wusste nicht, dass während seiner Haft der Krieg in Syrien ausgebrochen war. „Die Bomber sah ich zum ersten Mal, als ich auf das Dach eines Hochhauses stieg, um mich nach der Haft auf ärztlichen Rat hin zu sonnen.“ Er entschied sich zur Flucht, auch ohne Papiere, die noch bei der Armee waren. Jetzt sitzt Samer in Neukölln und sieht alles wie in einem Film an sich vorbeiziehen. Wenn er Ablenkung braucht, unternimmt der Syrer kleine Exkursionen durch Berlin und fotografiert architektonisch interessante Häuser, Züge, Autos. „Ich hoffe, dass ich mit meiner Ausbildung und den Dingen, die ich hier lerne, später helfen kann, Syrien wieder aufzubauen.“ Deutschland ist für den Ingenieur ein Vorbild, „nach dem 2.Weltkrieg habt Ihr es doch auch geschafft, aus Ruinen wieder lebendige Städte zu machen.“ Samer gibt die Hoffnung auf Frieden in Syrien nicht auf. ARL

Autor:

Angelika Ludwig aus Weißensee

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 230× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 194× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 105× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 226× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.560× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.