Vor 50 Jahren war Grundsteinlegung für die Gropiusstadt

Die Wünsche kleiner Gropiusstädter: Miguel (Mitte) träumt von einer Wasserrutsche, Lisa (links) von einer Kinderdisco. | Foto: Thomas Schubert
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Gropiusstadt. Im 30. Stock? So hoch wollte Walter Gropius Menschen niemals wohnen lassen. Doch der Mauerbau zwang den Berliner Senat, mit Geschossen gehörig zu klotzen. Ein halbes Jahrhundert nach Baubeginn findet die Neuköllner Trabantenstadt nun zu neuer Blüte.

Unterwegs im Fahrstuhl, Enge, Unbehagen. Der Lift ruckt - ein Halt auf halber Höhe. "Guten Tag", brummt ein Herr mit grauen Schläfen. Alle rücken auf, die Tür schwingt zu. Der Zugestiegene möchte 15 Stockwerke abwärts, zum Ausgang hinab. Alle anderen hinauf zum Ausguck. Der brummige Mann mit grauen Schläfen wohnt hier. Aber die übrigen vier Liftinsassen sind gekommen, um zu sehen, wie es sich im Ideal-Hochhaus am Gipfel der Gropiusstadt lebt. Hier, in der Fritz-Erler-Allee 120, wo die Briefkasten-Zeile leicht den Katalog einer mittleren Bibliothek fassen könnte. So sausen sie den restlichen Weg wortlos hinauf, der Heimische und die Fremden, bevor er nach unten darf. Und das Besucherquartett auf die Dachterrasse des höchsten Wohnhauses in ganz Berlin. Man hat Böses gelesen, so etwas Schönes nicht erwartet. Einen Panoramablick mit Abendröte, atmosphärische Musik, zeitgenössische Kunst, Cocktails. Die Gropiusstadt begeht ihren 50. Geburtstag. Und nicht wenige Berliner kommen aus diesem Anlass zum ersten Mal auf Visite. In eine maßgefertigte Stadt für 35 000 Seelen, die der soziale Wohnungsbau erschaffen hat. Die in der Senkrechten wachsen musste, weil die Mauer der Ausdehnung nach Südosten Grenzen setzte. Einen Ort, an dem Arbeitslosigkeit, Kriminalität, die soziale Schieflage des nördlichen Neuköllns merklich abgeschwächt zum Vorschein kommen.

Monika hält in der einen Hand ihr Cocktail-Glas, deutet mit der anderen durch das Ausguck-Fenster in die Ferne, wo sich die Wohnquader vielgestaltig staffeln. Halbrund, eckig, hoch, mittelhoch. Mittendrin: Baumkronen und Reihenhäuser. Denn Gropiusstadt gibt es auch in niedrig. Erst als Rentnerin fand Monika den Weg in die Großsiedlung und sie sehnt sich nicht mehr nach Steglitz zurück. Wenn die 69-Jährige der Gropiusstadt eine Farbe zuordnen müsste - es wäre Grün. "Das einzige, was hier noch fehlt", glaubt sie, "sind Gärten auf den Dächern."

Horst Bartning, 76 Jahre alt, seines Zeichens Künstler aus Adlershof, pflichtet bei. "Sehr grün, sehr gepflegt. Nicht so wie Kreuzberg, wo sie Flaschen zerdeppern." Bartning steht vor seinem Werk. Gewiss: Es würde schwer fallen, dieses meterlange Gemälde, das er im Rahmen der Feierlichkeiten in 90 Metern Höhe präsentiert, in einem der darunter liegenden Wohnzimmer zu platzieren. Dennoch befindet sich die abstrakte Komposition aus schwarzen und weißen Balken im Einklang mit dem Ausstellungsort. Hier gibt es keine Schnörkel, keine Illusionen. Hier herrscht strenge Geometrie.

Gerade Linie

"Die gerade Linie hat der Mensch erfunden. In der Natur gibt es so etwas nicht", sagt Bartning. Nirgendwo in Berlin wurden bis dato gerade Linien so ausgiebig umgesetzt wie in der Siedlung mit dem vorläufigen Namen "Berlin-Buckow-Rudow". Am 7. November 1962 vollzog Bürgermeister Willy Brand die Grundsteinlegung. Zehn Jahre später erhielt sie den Namen ihres inzwischen verstorbenen Architekten. Erschwingliches Wohnen in Randlage - der Entwurf des Walter Gropius war ein Präzedenzfall für das Märkische Viertel und die neuen Bezirke des Ostens. Er verhieß Fortschritt in einer Zeit, als man die Zukunft des Städtebaus beidseits der Mauer kubisch und hochgeschossig wähnte. Heute plant man wieder kleinere Häuser, man verkleidet die großen mit hellen Planken.

Das Schlechteste an der Gropiusstadt im Jahr ihres runden Geburtstags ist aber wohl ihr Ruf. Wer die Schilderungen in Christiane Felscherinows Buch "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" mit dem Lipschitzplatz anno 2012 vergleicht, dürfte sich wundern. Kein Drogendealer-Milieu, keine deprimierte Jugend, wie der Gegend nachgesagt wird. Der Leerstand ist nach Umbruchsjahren zur Wendezeit so weit geschrumpft, dass sich nun sogar der Ausbau lohnt. Mit 400 neuen Wohnungen will die Degewo dem Ruf nach bezahlbaren Unterkünften entsprechen. Das Nahversorgungszentrum "Wutzkycenter" ist bereits eröffnet und die anfallenden Sanierungs- und Aufwertungsmaßnahmen im Quartier stemmt die Degewo mit 100 Millionen Euro.

Aber zur Internationalen Bauausstellung im Jahr 2020 werden nicht nur die Betonmassen kultivierter wirken. Auf dem künftigen Campus Efeuweg, wo das Oberstufenzentrum Lise Meitner neu entsteht, könnten zwei Begriffe zusammenfinden, die bisher oft auf das Stichwort "Wachschutz" hinausliefen: Neukölln und Bildung. "Der Campus soll die Verbindung zu den modernen Dienstleistungsberufen knüpfen, die überall um uns herum entstehen: am Flughafen Berlin Brandenburg, am Forschungsstandort Adlershof oder in den großen Kliniken Neuköllns", hofft Degewo-Vorstand Frank Bielka auf eine Signalwirkung.

Zuzug aus Innenstadtbezirken? Das geschieht heute oft aus der Not heraus, künftig vielleicht aus Überzeugung. "Hauptsache, es geht hier dann nicht zu wie in Szenekiezen", sagt Gabriele Steinbach. Sie sitzt neben ihrem Bruder Eckbert auf einer Bank, genehmigt sich eine herzhaftes Mittagsmahl. Hinter den Geschwistern haben drei Damen mit Föhnfrisuren einen Pudel unter einem Cafétisch geparkt. Vor ihr diskutieren Hertha-Fans mit unüberhörbarem Verdruss die Situation ihres Vereins.

"Hier war die Ruhe"

Steinbach weiß, was sie an dieser Umgebung findet. Zwölf Jahre ist es her, da kehrte sie Kreuzberg den Rücken und zog ganz bewusst an den Rand des Berliner Mieten-Rummels. "Hier war die Ruhe selbst, oben im Kiez tobte das Leben. Aber jetzt?" Sie blickt sich um: "Ich glaube, jetzt steht uns das hier auch bevor." Das ist es, was es aus ihrer Sicht zu sagen gibt. Steinbach packt zusammen. Ihre Malzeit bestand aus panierten Putenschnitzeln und süßen Croissants. Und es hat geschmeckt.

Hochhäuser sind überholt

Sozialer Wohnungsbau findet dennoch großen Zuspruch

Mit großer Mehrheit bejahten die Teilnehmer der Leserbefragung, dass wieder staatlich geförderte Unterkünfte geschaffen werden müssen.

94 Prozent befürworten den sozialen Wohnungsbau, sechs Prozent lehnen ihn ab. Dass die Bemühungen des Senats, neuen Wohnraum zu schaffen, noch einmal zum Bau von Hochhaussiedlungen führen könnten, daran hegt Uwe Hameyer Zweifel. Als Vorstandsmitglied des Berliner Architektenvereins hält er den Neu- oder Weiterbau von Trabantenstädte für wenig zeitgemäß. „Die kolossale Ballung von Wohnungen am Stadtrand war ein Modell der 70er Jahre. Heute stünde die Fläche dafür gar nicht mehr zur Verfügung“, erklärt der Experte.

Es gelte nun eher, zahlreiche innerstädtische Baulücken zu schließen, wobei hier die Größenordnung von Gründerzeit-Gebäuden maßgebend sei. Deren Bauweise bestimme das Berliner Stadtbild noch immer in einer Weise, wie es vielgeschossige Nachkriegshäuser nie vermocht hätten. Neue Wohnungen so zu errichten, dass man sie einkommensschwachen Mietern anbieten kann, das hält Hameyer momentan für „schwierig“ – zumindest „wenn sie qualitätvoll ausgeführt sind“. Zudem wird eine neue Welle des sozialen Wohnungsbaus auch politisch unwahrscheinlich, da die Landesregierung nach dem Auslaufen der letzten Förderprogramme keine Bereitschaft zu neuen Finanzhilfen zeigt.

Siedlung in großem Stil

Als der Regierende Bürgermeister Willy Brandt am 7. November 1962 den Grundstein legte, sollte damit der Bau von insgesamt 18 500 Unterkünften eingeläutet werden - rund 4000 mehr als vor dem Mauerbau geplant. In der Stadtrandsiedlung mit dem damaligen Namen "Berlin-Buckow-Rudow" entstanden fast ausschließlich Sozialwohnungen für 35 000 Menschen. Zur Gropiusstadt wurde die Siedlung erst im September 1972, drei Jahre nach dem Tod ihres Architekten und drei Jahre vor der Fertigstellung. Für eine günstige Verkehrsanbindung sorgte die ab Britz-Süd verlängert U-Bahnlinie 7 nach Rudow. Die endgültigen Kosten zur Errichtung des neuen Quartiers: 1,74 Milliarden D-Mark. Bis heute in Berlin unübertroffen ist die Höhe des Ideal-Wohnhochhauses in der Fritz-Erler-Allee 120 - es misst 90 Meter. Und auch beim Handel ist die Satellitenstadt spitze: Mit den Gropius Passagen verfügt sie über das größte Einkaufzentrum Berlins.

Thomas Schubert / tsc
Die Wünsche kleiner Gropiusstädter: Miguel (Mitte) träumt von einer Wasserrutsche, Lisa (links) von einer Kinderdisco. | Foto: Thomas Schubert
Das war mal modern: Die erste West-Berliner Trabantenstadt löste die Wohnungsnot in der Vertikalen. | Foto: Thomas Schubert
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

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