Chronik der Familie Mossdorf: Berliner Geschichte im Kleinen
Wilmersdorf. Eine Wohnung, eine Verwandtschaft, ein Buch: Friederike Oeschger und Babette Radtke verarbeiteten die Annalen ihrer Ahnen für die Nachwelt. Und erzählen deutsche Historie im Maßstab einer Familie. Jetzt faszinierten Kostproben ihres Buches Zuhörer in der Villa Oppenheim.
Den Heiratsantrag brachte der Postbote. Und der förmliche Brief hinterließ bei Else zunächst einmal nichts als Erstaunen. Denn Otto Mossdorf, ein Mann von beachtlicher Entschlusskraft, hatte das Gesuch direkt nach dem Kennenlernen eingereicht. Keine gute Idee.
Dass Else Otto einen Korb gab, hätte die Geschichte der Mossdorfs gleich im Jahre 1911 besiegeln können, sozusagen während des Prologs. In Wirklichkeit war es aber der sehr verhaltene Anfang einer Saga um ein Geschlecht, dessen Schicksal nun jeder zwischen zwei Buchdeckeln nachlesen kann. „Die Mossdorf – Das Schicksal einer Berliner Familie im 20. Jahrhundert“, das ist ein echtes Familienwerk.
Friederike Oeschger und Babette Radtke, zwei Enkelinnen von Otto und Esle Mossdorf, brachten es zu Papier. Zwei lebende Beweise, dass ein verliebter Herr hartnäckig bleiben sollte.
Bei den „Mossdorfs“ handelt es sich um deutsche Geschichte, genauer gesagt um eine historische Studie Berlins. Noch genauer: um ein anschauliches Stück Wilmersdorf. Denn im Mittelpunkt steht fortwährend eine opulente Gründerzeitwohnung in der Prinzregentenstraße 83, wo die Sippe aller Kriegsbomben zum Trotz rund 90 Jahre verlebte.
„Wohnung gefunden!“, protokollierte einstmals Großvater Otto für die Nachwelt – kurz zuvor hatte der junge Offizier seine unwirsche Herzdame für sich gewonnen. Doch heimelig blieb das Leben nur kurze Zeit. Denn 1914 zog er in den Krieg, nicht ohne sich vorher in aller Ruhe mit gutem Tabak, seidenen Hemden und Monokeln auszustatten. Selbst ein Weltenbrand, scheint es, konnte damals weniger Hektik anrichten als der heutige Alltag.
Während also Else daheim in Wilmersdorf ein Tochter gebar, kämpfte Otto für sein Land. Und landet schließlich in russischer Kriegsgefangenschaft, was im Range eines Hauptmanns aber durchaus erträglich war. Denn in den sibirischen Lagern erhielten die Insassen weiterhin Sold. Und zwar vom Zaren. 75 Rubel im Monat – „damit ließ es sich gut leben“, berichtet Enkelin Babette Radtke.
Nach Kriegsende folgten glückliche Jahre, in denen Otto als Journalist ein Auskommen fand. Radtkes und Oeschgers Vater Carl-Friedrich kam 1921 zur Welt. Und das Ansehen der Mossdorfs wuchs so sehr, dass eines abends Kaiserin Hermine bei der loyalen Sippe zum Musikabend erschien. Doch die Zeit der Bälle, Opernbesuche und Reisen verklang im erneuten Kriegsgetöse. Carl-Friedrich Mossdorf verschlug es als Soldat nach Afrika, wo er aber mit schwerer Beinverletzung bald wieder ausschied. Und so verlebte die Familie daheim in Berlin zahllose Bombennächte, musste eigenhändig Blindgänger-Granaten aus dem Herrenzimmer entfernen.
Eines Tages öffnete Otto Mossdorf die Kellertür, spähte hinaus auf die Prinzregentenstraße und hielt fest: „Meine Herren! Vor unserer Tür steht ein T34-Panzer.“ Die Russen waren in Wilmersdorf – und bald darauf begann die entbehrungsreiche Nachkriegszeit. Man nutzte amerikanische Zigaretten als Währung. Carl-Friedrich klaute Brennholz. Otto rupfte im Volkspark Sauerampfer.
Aber es ging wieder bergauf. Denn der Mossdorf-Sohn folgte beruflich seinem Vater nach und fand als Journalist beim Axel Springer Verlag in Hamburg Anstellung, was schließlich dafür sorgte, dass die Familiengeschichte in der Hansestadt weiterging. Die Autorinnen des Buches erblickten dort das Licht der Welt.
Nur Tante Rosie blieb in der Prinzregentenstraße 83, schrieb 26 weitere Jahre die Wilmersdorfer Saga sehr beschaulich fort, ganz allein in fünf riesigen Zimmern. Dann überlebte das Haus – ein stuckbesetzter Zeitzeuge in einer Straße voller Nachkriegsbauten – auch sie. tsc
Das Buch „Die Mossdorf – Das Schicksal einer Berliner Familie im 20. Jahrhundert“ ist mit 280 Seiten im Verlag „Hoffmann und Campe“ erschienen und im Handel für 22 Euro zu kaufen.
Autor:Thomas Schubert aus Charlottenburg |
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