100 Jahre Groß-Berlin
Ein Krimi zum Doppeljubiläum: Der neueste Roman von Irene Fritsch spielt im Lietzenseepark

Irene Fritsch am Lietzensee, mit ihrem neuesten Werk über den Lietzensee.  | Foto: Matthias Vogel
3Bilder
  • Irene Fritsch am Lietzensee, mit ihrem neuesten Werk über den Lietzensee.
  • Foto: Matthias Vogel
  • hochgeladen von Manuela Frey

Nicht nur die Eingemeindung Charlottenburgs in das Konstrukt Groß-Berlin jährt sich 2020 zum 100. Mal, auch die Eröffnung des Lietzenseeparks. Die Anwohner feiern den Geburtstag ihrer „Grünen Lunge“ am 13. und 14. Juni, und Autorin Irene Fritsch hat das Doppeljubiläum in ihrem neuesten Buch „Gefährlicher Reigen am Lietzensee“ verquickt.

Etwa alle zwei Jahre bringt Fritsch ein Werk auf den Markt. Meist spielen die Handlungen ihrer Krimis an dem kleinen See, der in Brückenhöhe von der Neuen Kantstraße „durchschnitten“ wird. Ihre Geschichten spielen in unterschiedlichen Jahrzehnten, fußen immer auf historischen Begebenheiten und spiegeln authentisch die jeweilige Gesellschaft wider. So auch bei ihrem siebten Streich. Den Lietzensee in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg hatte sie noch nicht beleuchtet, daher kam ihr der Anlass wie gerufen. „Denn sonst habe ich ja fast alles durch in meinen Büchern: Sozialismus, die Nazis, die 50er-Jahre, Flüchtlingsprobleme“, sagt sie. „Und ich habe mir gedacht, anlässlich des Doppeljubiläums wäre es schön, wenn man etwas zum Blättern in der Hand hätte“, sagt Fritsch.

Gartenbaudirektor Erwin Barth
findet eine Leiche

Die Handlung spielt im Jahr 1919, als Berlins großer Gartenbaudirektor Erwin Barth mit den Arbeiten am Lietzenseepark begann. Fritsch lässt Barth sogar höchstpersönlich die Leiche finden und zeigt damit, was ihr Spaß macht: Fakten und Fiktion zu verweben. Die Atmosphäre, in die ihre Krimi-Handlung eingebettet ist, zeugt von der Angst der Menschen vor der ungewissen Zukunft nach dem Ende des Kaiserreichs, die fürchterlichen Unruhen, oft Resultat der Streitereien zwischen Kommunisten, Spartakisten und des rechtsradikalen Freikorps, aus dem später SA und SS hervorgingen. Alles basiert auf ihrer geschichtlichen Recherche. „Und meine Quellen waren richtig gut“, sagt sie. Während ihrer Nachlese habe sie vor allem überrascht und interessiert, dass Charlottenburg partout nicht Groß-Berlin beitreten wollte.

"Wer hätte geahnt, dass der Krieg einen
solchen Ausgang nehmen würde?"

Große Dienste bei ihren Vorarbeiten hätten ihr beispielsweise eine Schulchronik erwiesen, die der damalige Rektor Balzer der benachbarten Gemeindeschule gewissenhaft geschrieben habe. Den Prolog ihres Buches widmet sie einem Auszug aus dieser Chronik. Balzer notierte Ende 1918: „Aus Deutschland war eine Republik geworden! Wer hätte geahnt, dass der Krieg einen solchen Ausgang nehmen würde? In den einzelnen Städten wurden Arbeiter- und Soldatenräte gewählt, so auch bei uns in Charlottenburg. Der Oberbürgermeister Dr. Scholz gab eine Erklärung ab, dass er sich mit dem Magistrat und allen städtischen Beamten dem Arbeiter- und Soldatenrat unterstellte. Damit waren auch wir der neuen Regierung unterstellt und taten als treue Beamte alles, um den ruhigen Fortgang des Betriebes zu sichern und Ruhe und Ordnung auch in der Bürgerschaft aufrechtzuerhalten. In der Schule selbst haben wir von der Revolution nichts gemerkt. Die Kinder waren wohl etwas aufgeregter als sonst, das war aber auch alles.“ Weiter schrieb er: "Auffallend war es, dass alle Zeitschriften patriotischen Inhalts, die 'Kriegswochenschau' und 'Der Weltkrieg', mit dem 9. November plötzlich aufhörten zu erscheinen, sie waren wie verschwunden.“

"Ein schlechtes Omen für den neuen Kurs!“

Balzer erwartete offenbar große Umwälzung auf dem Gebiet des Schulwesens, die Volksschule könne unter einer demokratischen Regierung nur gewinnen. Er schreibt: „Wir Lehrer waren mit unserem Schulprogramm bald fertig, es enthielt die vielen alten, seit Jahrzehnten bei der bisherigen Regierung vergeblich erstrebten Forderungen.“ Prompt erschienen wohl auch die ersten, Freiheit atmenden Verfügungen des neuen Kulturministers. „Doch sie wurden ebenso bald wieder eingeschränkt und teilweise auch ganz aufgehoben. Ein schlechtes Omen für den neuen Kurs!“, wertete Balzer

Auch die Interviews mit Zeitzeugen, schon in den 70er-Jahren geführt, seien der Autorin sehr hilfreich gewesen. „Ich habe damals zum Beispiel mit einer Kirchenschwester gesprochen, die muss 1919 etwa zehn, elf Jahre alt gewesen sein. Sie hat mir von Barrikaden der Spartakisten auch im gutbürgerlichen Charlottenburg berichtet. Das kannte man bis dato nur aus Mitte oder den östlichen Teilen Berlins.“

Der Titel ihres Buches entstand in Anlehnung an das Theaterstück „Reigen“ von Arthur Schnitzler, das 1920 in Berlin uraufgeführt wurde, in zehn erotischen Dialogen die „unerbittliche Mechanik des Beischlafs“ schildert und deshalb zu den größten Theaterskandalen des 20. Jahrhunderts zählt. „Das wurde auch in einem Kellertheater hier am See aufgeführt“, sagt Fritsch. „Nicht öffentlich, versteht sich.“

"Gefährlicher Reigen am Lietzensee" von Irene Fritsch kann online über www.textpunktverlag.de bestellt werden. ISBN 978-3-938414-64-4.

Autor:

Matthias Vogel aus Charlottenburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

7 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 472× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 440× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 388× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 423× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.739× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.