Neue Stolpersteine halten Andenken an jüdische Bürger wach

Steinverlegung in wenigen Minuten: Seit dem Start seines Projekts im Jahre 1997 hat Gunter Demnig durch tausendfache Ausführung Routine entwickelt. | Foto: Schubert
3Bilder
  • Steinverlegung in wenigen Minuten: Seit dem Start seines Projekts im Jahre 1997 hat Gunter Demnig durch tausendfache Ausführung Routine entwickelt.
  • Foto: Schubert
  • hochgeladen von Thomas Schubert

Charlottenburg. 2236 Messingschilder blinken bislang im Pflaster des Bezirks. Nun ging die Verlegung von Stolpersteinen in eine neue Runde. Geht es nach dem Künstler Gunter Demnig, soll sein Werk nicht nur an ermordete Juden erinnern, sondern auch an Überlebende.

Und wieder hat sich Gunter Demnig hingekniet. Vor ihm: die Pforte des Kurfürstendamm 177. Dicht um ihn herum: Kinder der jüdischen Heinz-Galinski-Schule, Passanten und die Stifter der Steine.

Sein markanter grauer Hut hält Demnigs Gesicht im Schatten, während er mit schwieligen Händen Erinnerungen ins Pflaster drückt. Grundlagenarbeit im buchstäblichen Sinne. Name, Geburtsjahr und Verbleib - das weisen auch diese neuesten Stolpersteine aus. Hier wird nun niemand mehr vorübergehen können, ohne das Andenken an Dr. Hans Max Grünberg und seine jüdische Familie aufblinken zu sehen. Vor nationalsozialistischer Verfolgung flohen sie 1933 über Belgien, Spanien, die Schweiz und Italien ins ferne Chile, kamen gejagt von braunen Ideologen mit dem Leben davon. "Das ist in Berlin ein Präzedenzfall", sagt der rheinländische Künstler. Bislang sei es ihm nur dort gestattet worden zu pflastern, wo es auch Tote zu beklagen gab. "An anderen Orten ist das schon lange Konsens." Generell falle der Beistand in Berlin eher müde aus. Handwerkliche Hilfe stelle man ihm so gut wie nie. "Und den Schutt, den muss ich selbst irgendwo entsorgen."

Helmut Lolhöfel, Koordinator der rund 20-köpfigen Stolperstein-Initiative in Charlottenburg-Wilmersdorf, hat sich mit dem Künstler auf einen Grundsatz geeinigt. Ob Vertreibung oder Ermordung von Juden vorliegt, soll nicht im Vordergrund stehen. "Was wir dokumentieren wollen, sind Familienschicksale", erklärt Lolhöffel. An seiner Seite zeigt Bürgermeister Reinhard Naumann kurz vor einer Israelreise seine Sympathie für das Projekt, begrüßt Hinterbliebene aus Amerika. "Berlin", sagt er, "steht für ein friedliches Miteinander nach der Schoah."

Kurz darauf fährt Demnig seinen roten Lieferwagen ein Stück stadteinwärts. Kurfürstendamm 185. Die nächste Adresse mit schwieriger Historie. US-Bürgerin Joanne Intrator, Enkelin des auf der Flucht verstorbenen Jacob Intrator und seiner Frau Rachel, beginnt zu weinen, als Demnig seine Hacke ins Pflaster stößt. Wortlos verrichtet er sein Werk. Nur wenige Minuten dauert es, dann glänzen wieder zwei neue Stolpersteine auf dem Boulevard. Demnig reibt noch einmal über das Messing. Eine liebevolle Geste nach der groben Arbeit. Dann hastet er gerade noch rechtzeitig zu seinem Wagen, bevor er ein Knöllchen erhält. Diskussionen nutzen nichts - der Wagen voller Werkszeug soll sofort weg. Nein, Berlin ist für ihn kein leichtes Pflaster.

Wer einen Stolperstein zum Preis von 120 Euro stiften möchte, kann sich an die Initiative des Bezirks wenden unter 0173/61 60 004 oder per E-Mail: h.loelhoeffel@googlemail.com.
Thomas Schubert / tsc
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 489× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 451× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 407× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 439× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.751× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.