Kunstprofessor Ernst Wendorff wird am 12. Februar 100 Jahre alt

Kein Motiv ist vor Ernst Wendorff sicher. Auch dem Schloss Charlottenburg hat sich der waschechte Berliner gewidmet. | Foto: Matthias Vogel
3Bilder
  • Kein Motiv ist vor Ernst Wendorff sicher. Auch dem Schloss Charlottenburg hat sich der waschechte Berliner gewidmet.
  • Foto: Matthias Vogel
  • hochgeladen von Matthias Vogel

Laut Bürgermeister Reinhard Naumann (SPD) ist der Bezirk ein gutes Pflaster für das Erreichen eines hohen Lebensalters. Rund 150 Menschen hätten bereits mindestens das 100. Lebensjahr gefeiert. Der „Club der 100er“ bekommt nun Zuwachs: Ernst Wendorff, Künstler aus Westend, hat am 12. Februar 100. Geburtstag.

Ernst Wendorff lebt im vierten Stock eines Mietshauses an der Reichsstraße. Ein wenig dauert es, bis die Eingangstür unten summt. „Hallo“, sagt er freundlich und bittet, ihm zu folgen. Er stellt seinen Rollator zur Seite und setzt sich auf seinen Sessel am Fenster vor dem Fernseher. „Mein Lieblingsplatz“, sagt er. Auf seinen großen Geburtstag angesprochen, murmelt er ein wenig gedankenverloren: „Ja, der 100.“ Dann ist er wieder voll da: „Komisch, ich kann das selbst kaum verstehen. Mir fehlt außer den Problemen mit den Gehwerkzeugen nichts, aber das Problem haben ja auch schon deutlich jüngere Menschen.“

Uff ’ne Brustkaramelle zu Papa Zille

1918 in der Entbindungsklinik in der Sophie-Charlotten-Straße „um die Ecke“ geboren, ist Ernst Wendorff ein waschechter Berliner. „Meine Mutter hat mir erzählt, da kam die Kaiserin nebst Gefolge und hat mich aus dem Bettchen gehoben.“ Schon zu Beginn seiner Schulzeit entdeckte er seine Leidenschaft für das Zeichnen und Malen und aus dieser Zeit stammt auch ein sehr prägendes Ereignis: „Ein Mitschüler lud mich zu sich ein. In seinem Haus wohnte Heinrich Zille. 'Lass’ uns hochgehen zu Papa Zille', sagte er. Zille machte auf und fragte, was wir denn wollten. Zugucken, haben wir gesagt. Er bat uns rein, gab uns eine Brustkaramelle – aber nur eine – und setzte sich mit seiner Weste und seiner dicken Brille an seine Arbeit. Ich fand das toll“, sagt Wendorff und dabei hellt sich seine Miene auf. Gerade die Art, wie der bekannte lokalpatriotische wie sozialkritische Maler und Fotograf Personen zeichnete, habe seinen eigenen Stil beeinflusst, erinnert sich Wendorff. Im Gegensatz zu „Pinselheinrich“ verdiente er aber nie sein Geld mit seinen Bildern.

Immerhin wurde die Kunst zum Beruf. Bevor es so weit war, bekam er die dunkle Seite des Lebens vorgestellt. Als Mitglied der christlichen Pfadfinderjugend entging er zwar der Rekrutierung durch die Hitlerjugend, um die Wehrpflicht kam er allerdings nicht herum. „Ich war im Krieg, an den Fronten in Frankreich, Italien, Russland und Polen. Überall, wo es nicht schön war, sechs Jahre lang. Und sicher nicht aus Überzeugung“, erzählt er.

Kunst zum Beruf gemacht

Nach dem Zweiten Weltkrieg studierte er Kunst, promovierte und lehrte als Professor an der Hochschule der Künste in Berlin – heute Universität der Künste – von 1962 bis 1984 räumliches Design. Einige Werke von Wendorff sind öffentlich zugänglich. „In der Gedächtniskirche befindet sich zum Beispiel eine Dauerausstellung von mir“, sagt er.

Nach seiner Pension bereiste er mit seiner Frau Ursula gern Mallorca und Teneriffa und zeichnete mit Tusche das, was er gerade sah. Einige schöne Kalender und Postkartensets stammen aus dieser Zeit. Viele weitere Zeugnisse seiner Begabung hängen an den Wänden seiner Wohnung – in Öl oder mit Deckfarbe auf Karton. Bei einigen Werken muss man zweimal hinsehen, um sich zu vergewissern, dass sie von Hand entstanden sind, so präzise sind die Linien, so exakt die Perspektiven, Proportionen und Achsen. Maler, die ihn beeindruckten, sind vor allem französische Impressionisten wie Pierre-Auguste Renoir, Édouard Manet oder Claude Monet.

Ein Wunsch noch offen

Das Porträt seiner Frau hängt hinter seinem Lieblingsplatz zwischen Fenster und Balkon, das seiner Tochter in einer anderen Ecke des Wohnzimmers. Ursula Wendorff verstarb 2016, zu seiner Tochter hat er keinen Kontakt. „Wenn ich nicht so eine patente Pflegerin hätte, hätte ich keine Bezugsperson mehr. Das hätte ich nie gedacht.“ Ganz allein ist er aber nicht. Am Vormittag seines Geburtstages bekomme er Besuch, sagt er. Und am Nachmittag hätten sich sein Enkelsohn, dessen Frau und seine Urenkelin angekündigt. Darauf freut sich Ernst Wendorff. „Im vergangenen Jahr sind wir zu einer Ausstellung von Impressionisten gefahren, das war schön. Ich weiß noch nicht, was sie dieses Mal vorhaben.“ 100 Jahre alt zu werden und sich noch gut zu fühlen – das ist großartig. Wendorff hat viel erlebt, viel gesehen. Ein Wunsch ist dennoch offen: „Dass mich meine Tochter noch einmal besucht, bevor ich nicht mehr bin.“

Autor:

Matthias Vogel aus Charlottenburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

7 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 104× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 544× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 505× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 458× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 482× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.