"Es ist wie mit dem steten Tropfen"
Etablierung von Fair-Trade-Produkten ist ein hartes Geschäft
Der Bezirk schmückt sich bereits seit einer Dekade mit dem Beinamen "Fair Trade Town". Dieses Gütesiegel verpflichtet, daher verstärkt er nun seine Bestrebungen, fair gehandelte Produkte zu etablieren – ein mühseliges Unterfangen.
Ihren Maßnahmenkatalog stellten Stadtentwicklungs-Chef und Lidia Perico von der Stabsstelle Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) am 10. September offiziell vor. Die Auszeichnung ganz Berlins als "Fair Trade Town" im November wollten die beiden nicht abwarten. Zum einen beginnt am 14. September die „Faire Woche“ in ganz Deutschland, zum anderen sieht Oliver Schruoffeneger (Grüne) dringend Handlungsbedarf. „Wir sind da jetzt einfach vorgeprescht, weil es absurd ist, wenn zwar der politische Wille geäußert wird, aber nicht einmal die landeseigenen Betriebe wie Messe und BVG oder die Stadt- und Bezirksverwaltungen mit gutem Beispiel vorangehen und umstellen.“ Der Katalog sieht folgerichtig vor, dass eine Schülerfirma in den Dienstgebäuden des Bezirks Ausgabestellen für fair gehandelten Kaffee, Tee, Orangensaft, Kakao und Schokoladenprodukte betreibt.
9000 Mörchenhefte in vier Bezirken verteilt
Einige der Maßnahmen des Konzeptes, dessen Beschlussfassung demnächst auch der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) zum Abnicken vorgelegt wird, laufen oder liefen schon. Zur Leichtathletik-EM wurde zusammen mit Fair-Trade-Akteuren am Breitscheidplatz über unter normalen Bedingungen hergestellte Sportartikel informiert. Und bereits zum zweiten Mal wurden zum Schulstart und mit Hilfe von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) den Drittklässlern das „Möhrchenheft“ ausgehändigt – ein Hausaufgabenheft mit vielen Informationen und Tipps zum Thema. Im vergangenen Jahr wurden 2700 Exemplare für den eigenen Bezirk aufgelegt, jetzt wurden 9000 Möhrchenhefte an den Grundschulen von vier Bezirken verteilt. „Die Organisation obliegt aber immer noch uns“, so Schruoffeneger.
Der Bezirk möchte also seine Marktmacht und seine Vorbildfunktion nutzen, um den Fair-Trade-Gedanken im Sinne einer nachhaltigen und gerechten Welt in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern. In einer kapitalistisch geprägten Gesellschaft ein mühseliges Unterfangen, das wissen auch Schruoffeneger und Perico. „Es ist schon so wie mit dem steten Tropfen, der den Stein höhlen soll“, gibt der Baustadtrat zu. Aber wer eben die Empathie für menschenwürdige Arbeitsbedingungen wecken und Fragen wie „Wo kommt meine Hose eigentlich her?“, „Was konsumiere ich?“ und „Wie kann ich durch mein Kaufverhalten Dinge mitbestimmen?“ provozieren möchte, der müsse – sinngemäß – eben wenigstens den Hahn aufdrehen. „Ereignisse wie die abgebrannte Textilfirma in Bangladesh und ein T-Shirt-Preis von 2,50 Euro müssen miteinander verknüpft werden, genauso wie Kinderarbeit und fehlende Schulbildung“, fordert Schruoffeneger.
Gespräche mit vielen Händlern auf gutem Weg
Einige dickere Tropfen sind schon auf den Stein gefallen. Investor Cell Bauwelt lässt sich bei der Neukonzipierung des Ku’damm-Karrees auf die Fair-Trade-Schiene ein. Mit der geplanten Edeka-Filiale am Henriettenplatz stünde der Bezirk in Verhandlungen bezüglich eines Sortiments fair gehandelter Produkte und auch mit der BVG-Tochter Urbanes, die zum Beispiel am Olivaer Platz, am Lehniner Platz und am ICC-Busbahnhof jeweils einen Imbiss-Pavillon betreibt, befände man sich in der „Schlussrunde“ der Gespräche. „Die wollen gerne, sind aber bei der Umsetzung auf unsere Hilfe angewiesen“, erklärte der Stadtrat. Auch unter der Rubrik „Sondernutzung Straßenland“ bestünde Spielraum. „Angebote auf hauseigenen Veranstaltungen müssen zu 100 Prozent dem Handlungskonzept folgen. Bei privaten Straßenfesten wäre die Regelung natürlich weicher zu gestalten.“
Anlässlich der Fairen Woche, die am kommenden Freitag, 14. September, deutschlandweit startet, wird auch der Bezirk wieder aktiv. Bei Lidl in der Berliner Straße läuft am Sonnabend, 15. September, dem World Cleanup Day, ab 13 Uhr die Aktion „Plastic Attack“. In den Eva-Lichtspielen, Blissestraße 18, wird am Sonnabend, 29. September, ab 10.30 Uhr der Dokumentarfilm „Kaufen für die Müllhalde“ gezeigt. Und am Freitag, 19. Oktober, ist anlässlich der Eröffnung der Primark-Filiale am Bahnhof Zoo um 17 Uhr eine Protestaktion geplant. Überschrift: „Nähen bis zum Umfallen“. Noch im September können sich Schulen für den Erhalt eines kostenlosen Ballnetzes mit vier fair gehandelten Fuß-, vier Hand- und zwei Volleybällen bewerben. „Da folgt die Ausschreibung in Kürze. Allerdings werden wir das wohl an entsprechende Projekttage koppeln“, sagte Schruoffeneger. „Die Kinder sollen schon wissen, warum sie die Bälle bekommen.“
Autor:Matthias Vogel aus Charlottenburg |
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