Mit Stadtgänger Bernd S. Meyer in der Tuschkastensiedlung Falkenberg

23. April 2016
11:00 Uhr
Gartenstadt Falkenberg, 12524 Berlin
Die Teilnehmer des Stadtspaziergangs werden auch einen Blick in die Kunstschmiede von Achim Kühn werfen. | Foto: Ralf Drescher
  • Die Teilnehmer des Stadtspaziergangs werden auch einen Blick in die Kunstschmiede von Achim Kühn werfen.
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Altglienicke. Dies ist ein Berliner Weltkulturerbe in Hanglage. Oben, auf der Teltowhochfläche die Falkenberge, unten der Plumpengraben in der Dahmeniederung. Bis zur Dahme, diesem breiten, weit schiffbaren linken Spreenebenfluß mit viel Wassersport sind es nur wenige hundert Schritte.

Genau in dieser Gegend, bei den Dörfern Altglienicke und Bohnsdorf im Kreis Teltow, sprossen bald nach der vorletzten Jahrhundertwende genossenschaftliche Vorortsiedlungen aus dem noch preiswerten märkischen Boden. Der Bahnhof Grünau (Mark) der Görlitzer Bahn bot seit 1866 schnelle Verbindung in die Reichshauptstadt. Platz war oben auf den Falkenberg-Hügeln, dem Areal der aufgelassenen Baumschule des königlichen Gartenbaudirektors Max Buntzel und unten nach der Trockenlegung der Sumpfniederung sowieso.

Die Architekten Hermann Muthesius und Heinrich Tessenow, geschult am Landhausstil englischer Gartenstädte, waren die ersten Berühmtheiten, die hier Kleinhaussiedlungen für Arbeiterfamilien entwarfen. Weit weg von überfüllten Mietskasernen mit ihren dunklen Hinterhofwohnungen. Die ersten, die in Altglienicke bauten, waren ab 1902 die Genossen der „Arbeiter-Baugenossenschaft Paradies“, gegründet von Sozialdemokraten. Sogar Kaiser Wilhelm II. interessierte sich für „Paradies“, ließ im gleichen Jahr seinen „Vaterländischen Bauverein“ mitten im „roten Wedding“ gründen. 1912/13 entwarf Bruno Taut damals noch weit außerhalb des Stadtgebiets für die „Gemeinnützige Baugenossenschaft Gartenstadt Groß-Berlin“, preiswerte Eineinhalb- und zweigeschossige Arbeiter-Reihenhäuser auf gerade mal 39 m² Baufläche, auch Vierfamilien-Häuser mit Etagenwohnungen. Sie überraschten mit geraden Linien und Fassaden in leuchtenden Farben - ein Paukenschlag der Moderne!

Spott über bunte Häuser

Die Zeitungen spotteten über die glatten bunten Häuser ohne die üblichen Stuckverzierungen, nannten sie nach den rechtwinkligen Fassaden-Farbflächen abschätzig „Tuschkasten-Siedlung“, was sich bald im Volksmund durchsetzte. Ringsum und natürlich auch in den kleinen Terrassengärten am Hang, blühen seitdem viele Obstbäume aus Edelreisern der alten Buntzel-Baumschule. 150 Wohnungen entstanden um den angerartigen Akazienhof und den Gartenstadtweg. 1915, mit dem Krieg, stoppte das Projekt. Insgesamt 1500 Wohnungen für 7000 Bewohner waren ursprünglich geplant.

Seit 1920 gehörte die Siedlung dem "Berliner Spar- und Bauverein", heute "Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892", die damals nicht weiter baute. Auch ein von Taut entworfenes zentrales Festhaus und weitere Gemeinschaftseinrichtungen blieben nur Plan. Gefördert von neuen Gesetzen des Freistaats Preußen entwarf der renommierte Architekt ab 1925 städtische Großsiedlungen gewerkschaftlicher Baugenossenschaften, so die nahe Hufeisensiedlung Britz, Schillerhöhe Wedding und Carl-Legien-Stadt Prenzlauer Berg. Die Tuschkasten-Siedlung, längst ein Ehrenname, kam 1977 unter Denkmalsschutz. Damals begann die Restaurierung, eine Zugangsstraße wurde nach Bruno Taut benannt. Im Jahre 2008 sind sechs Berliner Siedlungen der Moderne in die UNESCO- Weltkulturerbeliste aufgenommen worden, auch die Gartenstadt Falkenberg als kleinste und älteste.

Zu Besuch in der Kunstschmiede

Wenige Schritte von der Tuschkastensiedlung, in einem alten Vierseithof arbeitet in dritter Generation die Kunstschmiede Kühn. Die Fritz-Kühn-Gesellschaft e.V. kümmert sich um den Nachlass des Gründers. Am bekanntesten ist in Berlin wohl die A-Tür der Stadtbibliothek. Seniorchef Achim Kühn, 74, vertritt jetzt Deutschland in einem internationalen Projekt, das im belgischen Ypern an eine der fürchterlichsten Schlachten des Ersten Weltkrieges von 1915 erinnert. Jene ungezählten Mohnblüten, die auf der blutgetränkten und eisengespickten Erde wuchsen, wurden zum Symbol des Gedenkens. In diesem Jahr werden von Schmieden verschiedener Länder mehr als 2300 eiserne Mohnblüten gefertigt, dann rotbraun und schwarz eingefärbt und in die Gedenkflächen eingebracht. Eine einzige der Blüten wird weiß bleiben, um erstmals die erschossenen und geächteten Deserteure des Ersten Weltkrieges zu ehren, zu denen auch ein englischer Schmied gehörte. BSM

Die 136. monatliche Plätzeführung mit Bernd S. Meyer, dem Mann mit der Leiter, beginnt am 23. April, 11 Uhr. Treffpunkt ist vor dem S-Bahnhof Grünau, Ecke Bruno-Taut-Straße. Die Führung durch die Gartenstadt Falkenberg ist für Leser der Berliner Woche kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: am Freitag, 22. April, von 10 bis 12 Uhr anrufen unter 887 27 74 14.
Autor:

Bernd S. Meyer aus Mitte

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