Luxemburg, Kautsky & Co.
Ein Spaziergang durch die revolutionäre Landhauskolonie
Im Rahmen der aktuellen Sonderausstellung „Revolution 1918/19 – Schöneberg ringt um Demokratie“ im Schöneberg Museum hat der Historiker und Referent der Museen Tempelhof-Schöneberg, Stefan Zollhauser, zu einem „After Work-Spaziergang durch das revolutionäre Friedenau“ eingeladen.
Ein Widerspruch steckt in diesem Veranstaltungstitel. Denn von revolutionären Arbeitermassen in Friedenau kann im historischen Rückblick keine Rede sein. Dies am Reißbrett entstandene Wohnidyll vor den Toren Berlins war bürgerlich. Doch bedeutende Führer der Arbeiterbewegung vor dem Ersten Weltkrieg lebten eine Zeitlang in Friedenau und zogen dann wieder weg.
Zu ihnen gehört Rosa Luxemburg (1871-1919), die „feine, zarte, bittere Theoretikerin“ (Golo Mann), die „Führerin und Ideologin der Spartakisten“ (Christopher Clark). 1902 bis 1911 wohnte sie im nicht-offiziellen Friedenau, in der Cranachstraße 58, „im zweiten Stock hinten“, weiß Stefan Zollhauser. Vor dem Haus, auf einem Flecken Grün zwischen parkenden Autos erinnert eine bronzene Gedenktafel mit Namen und Lebensdaten an sie, an der Stirnseite ihr berühmtes Porträtfoto.
Luxemburg habe auf Hunger und Zunahme der Arbeitsbelastung während des Ersten Weltkriegs „reagiert“, gegen Kriegsanleihen und für die Weltrevolution agitiert, erläutert der Historiker. Am Tag der deutschen Revolution, am 9. November 1918, kommt sie nach längerem Gefängnisaufenthalt wieder in Berlin an.
Von Verhandeln und einem parlamentarischen System hält Rosa Luxemburg nichts. „Sozialismus bedeutet für uns Niederwerfung der herrschenden Klassen mit der ganzen Brutalität, die das Proletariat in seinem Kampfe zu entwickeln vermag“, wird sie auf einer Generalversammlung der Unabhängigen Sozialdemokraten von Groß-Berlin im Dezember 1918 sagen. Luxemburgs „revolutionär kurzes Leben“ endet bekanntlich am 15. Januar 1919 durch die Hand rechter Freikorps-Mitglieder, zehn Tage nach Ausbruch des Spartakusaufstandes.
In Friedenau wurde gegen diese „zweite Revolution“ mobil gemacht. Die Deutsche Demokratische Partei, eine Vorläuferin der FDP, rief zu einer Protestkundgebung gegen den „Zerfall Deutschlands“ und die Entstehung eines „Sowjet-Deutschlands“ auf. Es sprach Schönebergs damaliger Oberbürgermeister Alexander Dominicus (1873-1945). Im Verlauf der Ereignisse bildeten sich in der Landhauskolonie Friedenau rasch konterrevolutionäre Gruppen und eine antidemokratische und antirepublikanische Bürgerwehr, so Zollhauser. Diese sollte später den von rechtsgerichteten Generälen geführten Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik unterstützen. Ein Generalstreik brachte ihn zum Scheitern und rettete damit die Republik.
Als Antipoden zu den linken Revolutionären stellt Stefan Zollhauser in der Fregestraße – an Haus Nummer 80 hängt die Gedenktafel – den späteren Bundespräsidenten Theodor Heuss und besonders seine Frau Elly Heuss-Knapp vor, eine Anhängerin der bürgerlichen Frauenbewegung, die das traditionelle Frauenbild mit dem Recht auf Mitsprache für Frauen versöhnt.
Unweit des Heuss-Domizils von 1918 bis 1930, in der Saarstraße 14, befindet sich heute die „Bildungsstätte Luise & Karl Kautsky-Haus“. Karl Kautsky (1854-1938), ein deutsch-tschechischer Philosoph, lebte hier von 1900 bis 1902. Kautsky wurde nach dem Tode Friedrich Engels der wichtigste und einflussreichste Theoretiker der SPD. Als Wortführer eines „orthodoxen Marxismus“ stand er an der Seite von August Bebel im „marxistischen Zentrum“ der Partei. 1917 war er Mitbegründer der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), einer sozialistischen Abspaltung der SPD. Von der USPD spaltete sich wiederum der Spartakusbund ab, der im Januar 1919 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gründete.
Der rund zweistündige Spaziergang endete in den Goerz-Höfen an der Rheinstraße. Hier, am Stammsitz einer Weltfirma, so berichtet Historiker Stefan Zollhauser, hätten bereits im Januar 1918, also Monate vor der Revolution, die Arbeiter den Aufstand geprobt. Der Fabrikant Carl Paul Goerz (1854-1923) produzierte Kameras, Objektive, Entfernungsmesser, Scheinwerfer und andere feinmechanische und optische Geräte, während des Ersten Weltkriegs Ferngläser, Rundblick- und Zielfernrohre und U-Boot-Periskope; alles mit einem solchen Erfolg, dass am Ende des Krieges 10 000 Menschen bei Goerz arbeiteten. In den Zwanziger Jahren fusionierte Goerz mit anderen Unternehmen zur Zeiss Ikon AG.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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