"Wir brauchen klare Regeln beim Einsatz von Ehrenamtlichen in der Pflege"

Julia Schlicht leitete bis vor Kurzem das Projekt „Pflege, Engagement und Qualifizierung“ des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. | Foto: Sebastian Lechler
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  • Julia Schlicht leitete bis vor Kurzem das Projekt „Pflege, Engagement und Qualifizierung“ des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge.
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Berlin. Ohne ehrenamtliche Hilfe wäre die Versorgung der mehr als 116.000 pflegebedürftigen Menschen in Berlin kaum denkbar. Über die Grauzone zwischen Engagement und Arbeit sprach Berliner-Woche-Reporterin Stefanie Roloff mit Dr. Julia Schlicht.

Frau Schlicht, wo in der Pflege kommen Ehrenamtliche zum Einsatz?

Julia Schlicht: Engagierte werden nicht eingesetzt. Im Unterschied zu Fachkräften suchen sie sich ihr Tätigkeitsfeld selbst aus. Dabei übernehmen sie in Absprache mit der hilfebedürftigen Person, den Angehörigen und den Fachkräften bestimmte Aktivitäten. Das kann die Ausgestaltung eines Bastelnachmittags im Altenheim oder die Mitwirkung in einer Betreuungsgruppe für demenzkranke Personen sein.

Wo hakt es bei der Zusammenarbeit zwischen Hauptamtlichen und Engagierten?

Julia Schlicht: Kritisch wird es dort, wo Engagierte nicht richtig eingeführt werden, wo es keine Leitlinien und Vereinbarungen, keine Begleitung und Kommunikation gibt. Engagierte müssen darauf vorbereitet werden, was sie machen können und was den Fachkräften vorbehalten ist. Aber auch Fachkräfte benötigen Informationen über die neuartigen Kooperationsformen.

Werden Ehrenamtliche aufgrund von Personalmangel zum kostenlosen Ersatz für Hauptamtliche?

Julia Schlicht: Die Pflege steht vor einem grundsätzlichen Problem: Einerseits werden immer mehr Menschen in Deutschland älter und wahrscheinlich auch pflegebedürftig. Andererseits gibt es immer weniger Menschen, die sich um sie kümmern können. Deswegen kommt es mancherorts dazu, dass Engagierte als Ausfallbürgen für die fehlende fachliche Pflege beansprucht werden.

Wie sieht diese Grauzone konkret aus?

Julia Schlicht: Es gibt gesetzliche Möglichkeiten, dass Personen unter dem Vorwand des Engagements, steuer- und sozialversicherungsbefreit Geld hinzuverdienen können. Diese Möglichkeiten werden im Bereich Pflege genutzt. Sogenannte Engagierte werden fest in den Arbeitsplan eingebunden und übernehmen teilweise auch Aufgaben, die eigentlich von Fachkräften durchgeführt werden sollten. In solchen Fällen kommt es besonders oft zu Konflikten zwischen Fachkräften und den sogenannten Ehrenamtlichen.

Wie lässt sich der missbräuchliche Einsatz von Ehrenamtlichen verhindern?

Julia Schlicht: Hier braucht es Aufklärung und Informationen: Was muss in die Hand von Fachkräften, wo können Ehrenamtliche tätig sein. Engagierte können und sollen nicht Fachkräfte ersetzen. Sie sind für solche Tätigkeiten nicht ausgebildet. Zudem bewegen sich Träger, die Engagierte als Fachkräfte einsetzen, in einer Grauzone. Die Tätigkeit kann auch noch nach Jahren als sozialversicherungspflichtig eingestuft werden und die Träger müssen die Sozialabgaben nachzahlen.

Wie gelingt die sauber getrennte Zusammenarbeit von Ehren- und Hauptamtlichen im besten Fall?

Julia Schlicht: Die gelingende Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen braucht Vorbereitung und Informationsaustausch sowohl auf Seiten der Ehrenamtlichen als auch auf Seiten der Fachkräfte. Dies kann in Form von Vorbereitungs- oder Weiterbildungskursen erfolgen, in denen Ehrenamtliche auf ihre Aufgabe vorbereitet werden und Fachkräfte aus ihrem Alltag berichten. Solche Vorbereitungskurse ermöglichen den Austausch und können auch einen Einstieg in das Engagement erleichtern.

Weitere Informationen bietet das Schulungshandbuch "Pflege, Engagement und Qualifizierung" auf www.deutscher-verein.de/PEQ.
Julia Schlicht leitete bis vor Kurzem das Projekt „Pflege, Engagement und Qualifizierung“ des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. | Foto: Sebastian Lechler
Das Schulungshandbuch „PEQ – Pflege, Engagement und Qualifizierung“ gibt wichtige Hinweise fürs Ehrenamt in der Pflege. | Foto: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.
Autor:

Stefanie Roloff aus Friedenau

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