Der Kampf um ein "Dach über Kopf"
Ausstellung zu Wohnraumfragen einst und jetzt

Protestplakate neueren Datums in der Ausstellung. | Foto: Thomas Frey
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Dem Gastwirt sollte gekündigt werden. Ebenso wie dem Schuhmacher. Dagegen setzten sich nicht nur die Betroffenen, sondern viele Unterstützer zur Wehr.

Zwei aktuelle Beispiele? Nein, sie spielen in den Jahren 1863 und 1871. Der Schankbetreiber, der als erster zu einem frühen Symbol für Verdrängung wurde, hatte sein Lokal am Moritzplatz. Das Geschäft des Schusters, acht Jahre später, befand sich an der Blumenstraße. Die Revolte, die in beiden Fällen folgte, gilt als früher Protest der Bevölkerung gegen Mietwucher und Spekulantentum.

Dass sie jeweils auf dem Gebiet des heutigen Friedrichshain-Kreuzbergs stattfand, wäre kein Zufall. Vielmehr habe in diesem verdichteten Raum der Kampf um Wohnraumfragen in den vergangenen mehr als 150 Jahren immer eine besondere Rolle gespielt. In ganz unterschiedlichen Ausprägungen. So die Kernthese der Ausstellung "Dach über Kopf", die bis 3. November im Friedrichshain-Kreuzberg Museum, Adalbertstraße 95a, zu sehen ist. Sie widmet sich diesen Auseinandersetzungen, angefangen am Moritzplatz und in der Blumenstraße bis heute. Aber nicht nur. Es geht auch um unterschiedliche politische und gesellschaftliche Voraussetzungen, Wohnbedingungen oder Formen und Visionen von Wohnen.

Mietskasernen und Hinterhöfe

"Man kann mit einer Wohnung den Menschen ebenso erschlagen, wie mit einer Axt", lautet ein bekannter Spruch des Malers Heinrich Zille (1858-1929). Zille hat das selbst erlebt. Einige seiner "Miljöh"-Studien zeigt die Ausstellung. Er wohnte zwischen seinem zehnten und 14. Lebensjahr in der Kleinen Andreasstraße 17, unweit des heutigen Ostbahnhofs. Damals eine Gegend von beengten Mietskasernen mit zig Hinterhöfen, wo sich manchmal zehn oder mehr Personen zwei Zimmer teilten. Mieterschutz war unbekannt. Nicht mehr erwünschte Bewohner konnten ohne weiteres vor die Tür gesetzt werden. Immer am 1. April und 1. Oktober war "Ziehtag". Die Wohnungslosen begaben sich auf die Suche nach einer neuen Bleibe. Wer dabei keinen Erfolg hatte, landete auf der Straße.

Trotz solcher Verhältnisse und mancher Klagen darüber scheint es während der Kaiserzeit kaum zu einem nachhaltigem Massenprotest dagegen gekommen zu sein, abgesehen von den erwähnten Beispielen. Für die Weimarer Republik listet die Ausstellung einen Mietenstreik im November 1932 auf, der auch von der KPD unterstützt wurde. Ein Foto zeigt ein Haus, das sich daran beteiligt. An manchen Fenstern hängen Fahnen der Kommunisten. An anderen die Hakenkreuzflagge der Nazis.

Menschenwürdiges Wohnen wurde erst nach 1945 ein wirkliches Thema, im geteilten Deutschland auch zeitweise zu einer Art Systemvergleich. In der DDR entstand die Stalinallee, heute Karl-Marx- und Frankfurter Allee, als sozialistische Prachtstraße mit Arbeiterpalästen. Der in den vergangenen Monaten ausgetragene Kampf um einige dieser Immobilien war eines der markantesten Beispiele der aktuellen Auseinandersetzungen um das Dach über dem Kopf.

Leerstand und Wohnungsmangel

Die Stalinallee blieb ein Solitär. Spätestens in den 1960er-Jahren entstanden in Ost und West viele Hochhaussiedlungen. Sie boten mehr Komfort als die einstigen Mietskasernen. Sie waren zunächst beliebt, später eher verpönt, inzwischen wieder begehrt.

Der Altbaubestand stand häufig leer und verfiel. Er sollte abgerissen und davor höchstens zwischengenutzt werden. Er wurde dann diesseits und jenseits der Mauer zum Ausgangspunkt für „widerständiges Wohnen“.

In Friedrichshain wie auch in einigen anderen Orten der DDR passierte das durch eine „leise Besetzung“, wie das die Kuratorin Natalie Maier ausdrückte. Jemand zog in eine leere Wohnung, meldete das beim Wohnungsamt und zahlte fortan Miete. So wie der Bürgerrechtler Uwe Kulisch. Er kam auf diese Weise zu Wohnsitzen unter anderem an der Mühsam- und Matternstraße. Teilweise hat Kulisch per Durchbruch auch das daneben liegende freie Appartement hinzu gefügt. Selbst die Stasi, die ihn fast durchgehend observierte, war über seine aktuellen Wohnverhältnisse nicht immer vollständig im Bild.

In Kreuzberg kam es auf Grund von Leerstand einerseits und Wohnungsnot auf der anderen Seite Anfang der 1980er-Jahre zu einer ganz offenen Hausbesetzungswelle. Sie verhinderte einen Kahlschlag weiterer Quartiere. Eine Bewegung, die viele Facetten hatte. "Dach über Kopf" verweist beispielsweise auf eine Gruppe türkischer Frauen, die eine Wohnung an der Kottbusser Straße okkupierte und dort auch relativ schnell einen Mietvertrag bekam, sich dann aber mit Vertretern der deutschen Besetzerszene auseinandersetzen mussten. Aus dieser Epoche, die wiederum in 1968 einen Vorläufer hatte, speist sich vieles, was auch in den heutigen Wohnprotesten Ausdruck findet: das Agieren in Netzwerken und Initiativen, die generelle Auseinandersetzung darum, wem Grund und Boden eigentlich gehören sollten, das Ausprobieren verschiedener Wohnformen bishin zu gerade aktuellen Ideen für künftiges Wohnen.

Tuberkolose und Krätze

Einige, einst manchmal sogar lebensentscheidende Fragen sind dagegen inzwischen in den Hintergrund getreten. Die engen Mietshäuser des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und ihre hygienischen Bedingungen waren auch ein Hort oft tödlicher Krankheiten wie Tuberkolose. Die Besetzer vor fast 40 Jahren wurden ebenfalls noch mit manchen körperlichen Leiden konfrontiert. Eine damals erschienene Postille namens "Doktorspiele" verweist zum Beispiel auf Krätze. Zumindest in ähnlichem Ausmaß scheint das heute kein Problem mehr zu sein.

Die Ausstellung ist Dienstag bis Freitag, 12 bis 18, Sonnabend und Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Dazu gibt es ein Begleitprogramm unter anderem mit Feierabendführungen durch die Schau am 22. August, 5. September und 10. Oktober. Beginn ist jeweils um 18 Uhr. Stadtspaziergänge gibt es am 17. und 24. September, 17.30 Uhr, 20.Oktober, 13.30, 27.Oktober, 11.30 Uhr. Sie starten an der Ecke Blumen- und Andreasstraße und enden nach etwas zwei Stunden am Kottbusser Tor. Die Teilnahme ist kostenlos. Anmeldung unter n.j.maier@fhxb-museum.de. Weitere Informationen finden sich auf der Website www.fhxb-museum.de.

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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