Teures Vorkaufsrecht ist wichtiger Grund für Haushaltssperre

Die Wrangelstraße 66 ist ein Gebäude, bei dem der Bezirk das Vorkaufsrecht in einem Milieuschutzgebiet angewendet hat. Auf den Kosten ist er bisher sitzen geblieben. | Foto: Thomas Frey
  • Die Wrangelstraße 66 ist ein Gebäude, bei dem der Bezirk das Vorkaufsrecht in einem Milieuschutzgebiet angewendet hat. Auf den Kosten ist er bisher sitzen geblieben.
  • Foto: Thomas Frey
  • hochgeladen von Simone Gogol-Grützner

Friedrichshain-Kreuzberg. Die Möglichkeit, mit Hilfe des Vorkaufsrechts bei jeder zum Verkauf stehenden Immobilie in einem Milieuschutzgebiet den Erwerb der öffentlichen Hand anzumelden, wird im Bezirk inzwischen häufig angewandt.

Das Ziel: Spekulative Veräußerungen zumindest einzuschränken und Bestandsmieter vor Verdrängung zu schützen. Dabei geht es nicht unbedingt um einen Kauf. Erreicht werden soll vielmehr, dass sich der Eigentümer einer sogenannten Abwendungsvereinbarung unterwirft, bei der er sich bereit erklärt, bestimmte Forderungen des Bezirks zu erfüllen. Etwa den Verzicht auf Luxusmodernisierung und den Erhalt der bisherigen Mieterstruktur.

Das in Friedrichshain-Kreuzberg von einer großen Mehrheit getragenen Vorkaufsrecht-Vorgehen hat aber einige Schattenseiten. Eine, vielleicht die entscheidendste: Es birgt einige finanzielle Risiken. Das ergibt sich aus der Antwort von Finanzstadträtin Clara Herrmann (Bündnis 90/Grüne) auf eine Anfrage des Bezirksverordneten Michael Heihsel (FDP).

Herrmann nannte dabei konkret die Summe von zwei Millionen Euro, die für den Kauf der Wrangelstraße 66 noch ausstehen. Mit weiteren 430 000 Euro ist der Kauf eines Gebäudes an der Glogauer Straße bisher belastet. Unterm Strich sind das knapp 2,5 Millionen Euro und damit rund 40 Prozent der Haushaltsunwägbarkeiten, von derzeit etwa 5,6 Millionen Euro.

Immobilienbranche droht mit Klagen

Auf den ersten Blick scheint das nicht nachvollziehbar, denn eigentlich sollten bei Vorkaufsaktivitäten andere, bevorzugt städtisches Wohnungsbaugesellschaften als Käufer einsteigen. Aber das klappt eben nicht immer sofort, wie bei der Wrangestraße, wo eine solche Übertragung bisher nicht zustande gekommen ist. Außerdem gibt es, Stichwort Glogauer Straße, eine Differenz zwischen dem Verkehrswert und dem Betrag, der für das Grundstück verlangt wird. Dazu kommen weitere Unwägbarkeiten. Etwa mögliche Kosten für Gerichtsverfahren, für die ebenfalls Vorsorge getroffen werden muss, denn die Immobilienbranche läuft Sturm gegen das Vorkaufsrecht und droht mit Klagen.

Dass Finanzstadträtin Clara Hermann die Unwägbarkeiten beim Vorkaufsrecht herausstreicht, sorgt inzwischen für mehr oder weniger lautes Grummeln. Grüne, Linke und SPD, die allesamt zu den Befürwortern dieses Instruments gehören, sehen es als wichtiges, auch politisches Signal, das gerade von Friedrichshain-Kreuzberg ausgeht. Sie verweisen darauf, dass mögliche Belastungen über kurz oder lang ausgeglichen werden. Zumindest ist das die Hoffnung. Schon lange gibt es Forderungen an den Senat, dass der Mittel bereitstellt, um gerade das Einschreiten bei schnellen und zunächst von Dritten ungedeckten Käufen abzufedern. Clara Herrmann macht dagegen deutlich, dass es ihre Aufgabe ist, auf vorhandene Risiken hinzuweisen. Die hält sie, nicht nur wegen der Summen für das Vorkaufsrecht, in der aktuellen Höhe für "bedenklich", denn sie "schränken die Handlungsfähigkeit des Bezirks ein".

Weniger Einnahmen als geplant

Weitere Verlustbringer, beziehungsweise hinter den Erwartungen zurückbleibende Einnahmen, gibt es auch in anderen Bereichen. Wegen weniger erteilter Baugenehmigungen wird aktuell mit einer Deckungslücke von 700 000 Euro gerechnet. Bei den Erlösen aus Grundstücksverkäufen sind es 400 000 Euro. Mehr Personal- und Sachkosten von 200 000 Euro fallen auf Grund von steigenden Schülerzahlen im Schulamt an. Dazu kommen knapp 900 000 Euro für den Wachschutz an der noch immer teilbesetzten Gerhart-Hauptmann-Schule. Das Bezirksamt hat außerdem rund eine Million Euro sogenannter "pauschaler Minderausgaben", also weitere nötige Einsparpotentiale, noch nicht untersetzt. Das alles führte zur derzeitigen Haushaltssperre, die von jeder Abteilung verlangt, fünf, teilweise auch zehn Prozent ihrer Sachausgaben zu reduzieren. Inwieweit die Ämter diesen Vorgaben bisher nachgekommen sind und wie sich die Situation insgesamt darstellt, wird laut Stadträtin Herrmann mit dem Stichtag 30. Juni überprüft.

Hohes Risiko geringer Nutzen

Vor allem die FDP-Gruppe sieht die Risiken durch das Vorkaufsrecht als "unverhältnismäßig" und bezweifelt gleichzeitig dessen Nutzen. "Der geringe Vorteil, die Bewohner von zwei Häusern vor befürchteter (nicht erwiesener) Verdrängung zu schützen, wiegt die Nachteile für den gesamten Bezirk nicht im Geringsten auf", heißt es in einer Mitteilung der liberalen Bezirksverordneten Marlene Heihsel. Sie verweist dabei auf das Schicksal der gemeinnützigen Einrichtung Büchertisch, die Anfang des Jahres ihren Standort am Mehringdamm verlassen und nach Neukölln umziehen musste, weil sie die geforderten Mietsteigerungen nicht mehr bezahlen konnte. In diesem Fall habe es sich um eine Summe von jährlich 40 000 Euro gehandelt. Auch viel Geld, aber verglichen mit dem Millionenbetrag für die Wrangelstraße 66 eher Peanuts, findet Marlene Heihsel. Was der Bezirk allein für dieses Gebäude zur Verfügung gestellt habe, hätte ausgereicht, um mehr als 40 Büchertische zu finanzieren. tf

Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

47 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 155× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 134× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 204× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 590× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.