Wie soll an das DDR-Jugendheim erinnert werden?
Untergebracht waren dort Heranwachsende jeden Alters. Manche waren zuvor als Schulschwänzer, Ausreißer oder Trebegänger auffällig geworden. Bei einigen reichten auch psychische Probleme für eine Einweisung. Oder sie kamen aus Elternhäusern, bei denen "negative Einstellungen" zum Gesellschaftssystem konstatiert wurden. Das konnten vermeintliche "asoziale Verhältnisse" oder politische Gegnerschaft, etwa versuchte Republikflucht, sein. Deshalb landeten bisweilen auch sehr kleine Kinder auf Stralau. "Ich kann mich erinnern, dass während meiner Zeit dort ein Baby war", erzählte Clemens Lindenau, in den 1980er Jahren selbst Insasse.
Clemens Lindenau machte nicht nur diese Aussage anlässlich eines Expertenhearings, das sich am 30. Juni mit der Geschichte dieses Durchgangsheims, sondern darüber hinaus mit der Heimerziehung in Ost- und West-Berlin beschäftigte. Der Anlass dafür war ein Antrag des CDU-Bezirksverordneten Timur Husein. Er fordert, an der heutigen Schule eine Gedenktafel abzubringen, die an die einst berüchtigte Jugendeinrichtung erinnert.
Folgt man den Berichten der Betroffenen und Zeitzeugen, herrschten dort bis zum Ende der DDR Zustände, die nichts mit einer humanen oder pädagogisch sinnvollen Jugendhilfe gemein hatten. Vielmehr gab es Willkür, Zwang und einen ausgeklügelten Strafenkatalog, einschließlich teilweise körperlicher Übergriffe. Davon erzählte auch Rüdiger Chladek. Er war in den 80er Jahren kurze Zeit als Erzieher im Durchgangsheim tätig. Für die Arbeit habe er sich entschieden, weil er dachte, dort werde wirkliche Hilfe geleistet. "Stattdessen erlebte ich Machtmissbrauch. Den Jugendlichen wurde klar gemacht, dass sie der letzte Dreck sind."
Rüdiger Chladek nannte dafür zahlreiche Beispiele. Neuankömmlinge mussten sich nackt ausziehen und ihre gesamten Kleidungsstücke abgeben. Bei ihrem Auszug erhielten sie die in einem Sack zurück - ungewaschen. Die Zimmer der Zöglinge wurden über Nacht abgeschlossen. Als Toilette diente ihnen ein Eimer im Raum. Meist sei auch nicht eingegriffen worden, wenn sich die Insassen gegenseitig attackierten oder sie einen von ihnen quälten. "Da wurde weggesehen oder sich darüber amüsiert, nach dem Motto Pack schlägt sich, Pack verträgt sich."
Bei anderen Übertretungen gab es dafür postwendend Strafen. Etwa stillstehen, gerne auch garniert mit einem Tritt in die Weichteile. Oder ein Aufenthalt im Kellerverlies. "Erziehungsmethoden", die die Verantwortlichen als Abschreckung sahen. Den Jugendlichen sollte klar werden, dass sie es draußen doch viel besser haben, wenn sie sich an die Regeln halten. Wobei das Durchgangsheim, wie der Name schon andeutet, für viele nur die erste Station einer weiteren Heimlaufbahn war. Es folgten weitere Einrichtungen dieser Art, etwa die sogenannten Jugendwerkhöfe.
Bei zahlreichen Opfern blieb aus dieser Zeit ein Trauma. Gerade an sie soll mit der Gedenktafel erinnert werden, sagt Timur Husein. "Sie sollen sehen, dass das nicht vergessen ist."
Aber so einfach ist das nicht, zumindest nicht in Friedrichshain-Kreuzberg. Hier sollte erst einmal geklärt werden, in welchem Ausmaß es solche Vorfälle nicht nur in der DDR, sondern auch in der Bundesrepublik gegeben hat. Vor allem deshalb kam es zum Expertenhearing, bei dem auch eine Frau ihren unangemeldeten Auftritt hatte, die sich als Opfer ähnlicher Zustände in einem Heim in Westdeutschland sieht.
Deutlich wurde gleichzeitig, dass gerade die einstmals direkt Betroffenen eine Würdigung auf Stralau wünschen. Bereits als das Heim nach der Wende aufgelöst und das Gebäude zur Schule umgebaut wurde, sei darüber gesprochen worden, erinnerte sich Clemens Lindenau.
Mit den Ergebnissen des Hearings wird sich jetzt die Gedenktafelkommission beschäftigen und dann einen Vorschlag an den Kulturausschuss abgeben. Ohne ihrem Ergebnis vorzugreifen ist wahrscheinlich davon auszugehen, dass es zu einem Gedenken an dem Gebäude kommt.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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