Die Wochen des Infernos: Wie Friedrichshain-Kreuzberg vor 70 Jahren das Kriegsende erlebte

Kreuzberger Trümmerwüste. So wie hier in der Gegend um die Ritterstraße sah es 1945 in weiten Teilen des Bezirks aus. | Foto: Friedrichshain-Kreuzberg Museum
2Bilder
  • Kreuzberger Trümmerwüste. So wie hier in der Gegend um die Ritterstraße sah es 1945 in weiten Teilen des Bezirks aus.
  • Foto: Friedrichshain-Kreuzberg Museum
  • hochgeladen von Thomas Frey

Friedrichshain-Kreuzberg. "Der Kampf rückt jetzt näher an die Gegend um den Schlesischen Bahnhof heran. In die Einschläge der Artillerie mischt sich bereits der Beschuss aus Granatwerfern."

Beschrieben ist diese Szenerie unter dem Datum des 25. April 1945 in dem dokumentarischen Roman "Finale Berlin" von Heinz Rein. Das Buch beschreibt die letzten Kriegswochen in den Straßen am heutigen Ostbahnhof. Nicht nur dort, sondern im gesamten Bezirk gab es vor 70 Jahren heftige Kämpfe mit tausenden Toten. Ganze Stadtviertel wurden zerstört. Sofern sie nicht schon zuvor Opfer der Bombenangriffe geworden waren.

Am 16. April 1945 hatte die Rote Armee von der Oder aus zum Sturm auf Berlin angesetzt. Bereits drei Tage später erreichten erste Verbände die östlichen Vororte. Über die Frankfurter und die Landsberger Allee kämpften sich die sowjetischen Verbände in das Zentrum vor. Ein letztes Aufgebot von Wehrmachtssoldaten, Volkssturmmännern und Halbwüchsigen stellte sich ihnen entgegen.

Nach den Kämpfen in den letzten Apriltagen 1945 waren mehr als die Hälfte der Gebäude in Friedrichshain nicht mehr vorhanden oder nur noch Ruinen. Ähnlich sah es in Kreuzberg aus, wo sich die Rote Armee von Süden her über den Tempelhofer Damm näherte. Tagelang verlief die Frontlinie entlang des Landwehrkanals und quer durch die Friedhöfe am Halleschen Tor.

Wenige hundert Meter davon entfernt - im Bunker unter der Reichskanzlei an der Wilhelmstraße - hatte sich Adolf Hitler mit seinem letzten Aufgebot verschanzt. Manche fanatische Anhänger schenkten seinen Durchhalteparolen noch Glauben und kämpften im wahrsten Sinne des Wortes bis zum letzten Atemzug. Andere versuchten zu desertieren und sich zu verstecken. Wer dabei aufgegriffen wurde, den erwartete auch in den letzten Kriegstagen die sofortige Hinrichtung.

Defätismus und Angst kennzeichnete die Stimmung der Zivilbevölkerung. Die meisten kauerten in Luftschutzkellern, die sie nur zwischen den Feuerpausen kurz verließen, meist um etwas Essbares zu ergattern. Immer wieder kam es auch zu Plünderungen, etwa am Osthafen. Es ging ums nackte Überleben und die Furcht vor einer ungewissen Zukunft.

Aber es gab auch schon damals Menschen, für die das Kriegsende die Befreiung war. Zu ihnen gehörten viele tausend Zwangsarbeiter ebenso wie etwa Marie Jalowicz, später Marie Simon, die als Jüdin ab 1941 in Berlin untergetaucht war. Die letzten beiden Kriegsjahre verbrachte sie vor allem in einem Versteck an der Oberbaumbrücke. "Die Leute sprachen von einem Inferno", schildert sie die letzte Phase der Kämpfe. "Das tat ich selbstverständlich nicht, auch wenn es für mich kein Paradies war. Denn die Vorstellung, jetzt noch durch Kriegshandlungen zugrunde zu gehen, war furchtbar." Und als sie schließlich auf die ersten sowjetischen Soldaten traf, "stand ich zwar formal auf Seiten der Besiegten. Aber gefühlsmäßig auf Seiten der Sieger".

Der Offizier Ludwig von Hammerstein konnte als einer der wenigen Beteiligten des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 untertauchen. Er versteckte sich seither in der Wohnung der Familie Kerp in der Oranienstraße 33. Am 26. April beobachtete er, wie die letzten deutschen Truppen aus der Gegend abzogen. Am Nachmittag erschienen die ersten sowjetischen Infanteristen. Ihnen klar zu machen, dass er kein Faschist, sondern ein Widerstandskämpfer war, war aber nicht ganz einfach. Er habe eine "gefährliche Befreiung" erlebt, resümierte Hammerstein später.

Am 2. Mai kapitulierte Berlin, sechs Tage später war der Zweite Weltkrieg in ganz Europa zu Ende. Nicht zu Ende waren auch danach die Plünderungen und Vergewaltigungen. Tausende gerieten erst jetzt in Kriegsgefangenschaft und verschwanden für Jahre in Lagern. Es brauchte lange Zeit, bis sich allgemein die Erkenntnis durchsetzte, dass die Ursache dieses Leids nicht in den Ereignissen im Frühjahr 1945, sondern im von Deutschland begonnenen Krieg und der Herrschaft der Nazis zu sehen ist.

Thomas Frey / tf
Kreuzberger Trümmerwüste. So wie hier in der Gegend um die Ritterstraße sah es 1945 in weiten Teilen des Bezirks aus. | Foto: Friedrichshain-Kreuzberg Museum
An den schweren Bombenangriff auf den heutigen U-Bahnhof Weberwiese vom 26. Februar 1945 erinnert seit vergangenem Jahr diese Gedenktafel in der Station. Das Foto zeigt dessen zerstörte Umgebung im Jahr 1945. | Foto: Frey
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

50 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 114× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 905× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 578× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 1.076× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 1.965× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.