Ana Lichtwehr bekommt die Bezirksmedaille
Ana Lichtwehr setzt sich auf einen Stuhl am Fenster und schnappt sich ein Buch aus dem Regal. "Ist das nicht ein Genuss?", fragt sie. "Wir haben doch nette Ecken zum schmökern." Eine Szene, die sie gut charakterisiert. Für die 46-Jährige ist Literatur nicht nur eine schöne Freizeitbeschäftigung, sondern Teil ihres Lebens, Deshalb gründete sie 2003 den Büchertisch. Der hat inzwischen zwei Filialen am Mehringdamm 51 und in der Gneisenaustraße 7 mit 35 festen Mitarbeitern. Das Geschäft ähnelt zunächst dem anderer Antiquariate. Bücher, die wegen Wohnungsauflösungen nicht mehr benötigt werden, oder von denen sich die Besitzer trennen wollen, werden vom Büchertisch abgeholt und dann preisgünstig verkauft. Über mangelnden Nachschub kann sich Ana Lichtwehr nicht beklagen. "Wir haben inzwischen zahlreiche Stammkunden, die uns oft auch an Verwandte oder Freunde weiter empfehlen." Außerdem gebe es mittlerweile nicht selten Spenden von Verlagen oder Autoren. "Etwa von Wladimir Kaminer". Der aktuelle Bestand beläuft sich auf rund 50 000 Bücher in den beiden Läden sowie weiteren mehr als 20 000 Online.
Aber es ist nicht vordergründig ihr inzwischen florierendes Gewerbe, das Ana Lichtwehr die Bezirksmedaille einbrachte. Sondern vor allem ihr Engagement rund um den Büchertisch. Etwa die Lesungen, die dort regelmäßig stattfinden. Buchspenden, die Schulbibliotheken zugute kommen. Oder zuletzt die Herausgabe des Buchs "Kreuzberg kocht". Mehr als 50 Initiativen und Projekte haben für dieses Werk ihre Lieblingsrezepte beigesteuert. Außerdem werden alle Beteiligten in Interviews vorgestellt.
Bei all diesen Aktivitäten geht es ihr vor allem darum, Menschen zusammen zu bringen. "Es gibt eine Menge Leute, die sich für etwas einsetzen. Nur ist das häufig kaum jemandem bekannt." Und Bücher seien fast immer ein guter Anknüpfungspunkt. "Es ist vor allem für Kinder wichtig, dass sie sich früh mit Literatur beschäftigten." Sie erschließe ihnen nicht nur eine neue Welt, sondern lege auch ein tragfähiges Fundament für Bildung und Wissen. "Auch Menschen die lesen haben oft wenig Geld. Aber sie sind nicht arm."
Ein Motto, das Ana Lichtwehr auch für sich selbst verinnerlicht hat. Sie stammt aus Serbien und kam als Kind nach Berlin. "Ich sprach zu Beginn kein Wort deutsch. Nicht zuletzt mit Büchern habe ich das schnell gelernt."
Dass sie jetzt mit der Bezirksmedaille ausgezeichnet wird, habe sie sehr gefreut, sagt Ana Lichtwehr. Denn sie bedeute eine Anerkennung nicht nur ihrer Arbeit. Kreuzberg verändere sich gerade rapide. Durch die steigenden Mieten seien viele Leute vom Auszug bedroht. "Auch wir wissen nicht, was uns in den nächsten Jahren noch erwartet. Umso wichtiger ist der Zusammenhalt."
Außer Ana Lichtwehr erhalten Muzaffer Topal, Gründer und Leiter der Türkischen Folklore Gemeinschaft, Irmela Mensah-Schramm, Künstlerin, die gegen rechtsradikale Schmierereien im Straßenland vorgeht, Hugo Hoffmann, Betreiber des Ateliers Handpresse und Neriman Tuncer, Aktivistin des Mieterprotests am Kottbusser Tor die Bezirksmedaille. Sie bekommen sie am 26. Oktober in der Bibliothek Pablo-Neruda in der Frankfurter Allee überreicht.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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