Der letzte Tanz: Bezirk will Seniorenclub an der Stralsunder Straße zur Kita machen

Abheben und genießen. Seit vielen Jahren treffen sich die Senioren dienstags zum "Tanz mit Josef". | Foto: Dirk Jericho
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Etwa 150 Senioren aus dem Brunnenviertel kommen seit Jahrzehnten regelmäßig in den Seniorenclub in der Stralsunder Straße 6. Jetzt will das Bezirksamt die Begegnungsstätte schließen und den Pavillon zur Kita umbauen.

"Du hast mich tausend mal belogen, du hast mich tausend mal verletzt..." singt Josef live den Andrea-Berg-Song und haut in die Tasten. Vor ihm recken schick gemachte Damen die Arme und die Höhe und singen textsicher jede Zeile mit. Der monatliche „Tanz mit Josef“ ist ein Highlight für die Alten, die sich für den Nachmittag aufbretzeln, Freunde treffen und umarmen und auch mal ein Gläschen Rotwein bei der beliebten Livemusik trinken. Viele kommen seit Jahrzehnten in den Seniorenclub, der in den 1980er-Jahren mit Geldern aus der Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“ gebaut wurde. So wie Hanni Jäger. Seit über 30 Jahren ist der Club ihr zweites Zuhause, sagt die 89-Jährige und zieht an ihrer Zigarette. Sie hat sich mit einem hellen Anzug in Schale geworfen. Josefs Tanzrunde ist auch immer ein bisschen Schaulaufen. Dass Hanni noch so fit ist – viele der Besucher sind weit über 80 und einige sogar über 90 – „liegt am Sport“, so die Dame. Regelmäßig kommt Hanni Jäger zur Gymnastik in die Begegnungsstätte.

Doch jetzt steht der beliebte Seniorenclub vor dem Aus. Das Bezirksamt sucht dringend Kitaplätze. Etwa 200 fehlen im Kiez, sagte Sozialstadtrat Ephraim Gothe (SPD) im BVV-Sozialausschuss. Deshalb prüft das Bezirksamt gerade, ob es den Seniorenclub in der Stralsunder Straße 6 zur Kita umbauen kann. Noch im Mai soll die Entscheidung fallen, ob die Alten raus müssen aus ihrem geliebten Club, der erst vor eineinhalb Jahren behindertengerecht umgebaut wurde, wie Birgit Starostzik sagt. Sie ist die Chefin vom Jahresringe e.V., der als Träger die Begegnungsstätte seit über zehn Jahren betreibt. Eine Schließung führe zu wachsender Vereinsamung, befürchtet sie. Für Ana-Anica Waldeck ist das eine schlimme „Verdrängung von alten Menschen“, so die SPD-Bezirksverordnete. Sie findet es erschreckend, dass den Senioren eine Einrichtung nach der anderen weggenommen wird. „Ich kämpfe um die Bürger“, sagt die SPD-Politikerin auf den Hinweis, dass der zuständige Stadtrat der gleichen Partei angehört. „Skandalös und intransparent“ nennt Taylan Kurt die Pläne des Bezirksamtes. Mit den betroffenen Senioren sei bisher nicht gesprochen worden. „Senioren werden hier gegen Kinder ausgespielt“, ärgert sich der Grünen-Verordnete. Kurt hat für die BVV-Sitzung am 17. Mai einen Fragenkatalog zum Thema mit dem Titel „SeniorInnen raus, Kita rein = 0 Gewinner, 2 Verlierer“ eingereicht.

Ephraim Gothe versucht zu beruhigen. Statt Verdrängung und Abbau wolle der Bezirk die Seniorenangebote stärken. Für drei von sieben Klubs will das Bezirksamt je eine halbe Stelle finanzieren; laut Sozialausschuss-Protokoll auch für den Seniorenklub an der Stralsunder Straße. Chefin Birgit Starostzik fordert schon lange festes Personal, „denn eine Begegnungsstätte lebt nur, wenn die Macher vor Ort sind“. Bisher wurden die täglichen Öffnungszeiten (Montag bis Freitag) mit Ehrenamtlichen und vom Jobcenter finanzierten Mitarbeitern gestemmt.

Wo die Alten hin sollen, falls der Bezirk den Pavillon als geeignet für eine Kita hält, weiß Gothe auch schon. Die Senioren sollen zukünftig in das Olof-Palme-Zentrum an der Demminer Straße oder in das Familienzentrum an der Wattstraße gehen. Der Bezirk wolle ohnehin seine 26 Stadtteilzentren als Orte für alle Generationen stärken und ausbauen, so Gothe.

Die für Kitaplätze zuständige Jugendstadträtin Sandra Obermeyer (parteilos, für Die Linke) sagt, „dass keine Rede davon sein kann, dass der Seniorenclub wegen Kitaausbaus gekündigt wird.“ Sie habe Informationen, „dass der Träger Jahresringe e.V. aufgrund mangelnder personeller Ressource aufgeben will“. Die benachbarte Kita habe dies erfahren und bei ihr nach Erweiterungsmöglichkeiten angefragt. Wenn das Bezirksamt den Seniorenclub mit Personal unterstützt, „wäre ein Weiterbetrieb möglich“, so Obermeyer. Zumindest im Sozialausschuss hatte Gothe gesagt, dass auch der Seniorenclub an der Stralsunder Straße eine halbe Personalstelle bekommt. „Wir werden die Situation beider Bereiche – Seniorenarbeit und Kita – genau betrachten und abwägen“, sagt die Jugendstadträtin. „Herr Gothe und ich sind dazu in Absprache“.

„Schreiben Sie, dass unser Club bleiben muss“, bitten die Senioren beim Treffen mit der Berliner Woche. „Der soll nur zugemacht werden, damit wir in die Kiste gehen“, sagt Waltraud Schmidt (87). Doch statt in die Kiste, wollen sie auf die Straße gehen, wenn ihr Seniorenclub schließen soll, zeigen sich die Alten kämpferisch.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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