Berliner trauern am Mahnmal Gleis 17

Rosen in Gedenken an die Deportierten: 73 Jahre nach dem Beginn der Verschleppung setzten Hunderte Berliner ein Zeichen gegen das Vergessen. | Foto: Schubert
  • Rosen in Gedenken an die Deportierten: 73 Jahre nach dem Beginn der Verschleppung setzten Hunderte Berliner ein Zeichen gegen das Vergessen.
  • Foto: Schubert
  • hochgeladen von Thomas Schubert

Grunewald. In ungeheizten Viehwaggons rollten jüdische Bürger Berlins einst von Grunewald aus der Vernichtung entgegen. Ein Grauen, das bei der aktuellen Gedenkveranstaltung alle Redner auf ihre Weise in Worte zu fassen versuchten. Den tiefsten Eindruck hinterließ eine Frau, die überlebte.

Als Margot Friedländer ans Mikrophon tritt, scheint die Mischung aus Demut, Ehrfurcht und Scham beinahe greifbar. Hier steht eine alte Frau, die nach dem Krieg in eine Stadt zurückkehrte, in der ein Kreis von treuen Freunden sie jahrelang vor den Nazis versteckte - aber die große Mehrheit ihren Abtransport nach Theresienstadt schließlich schweigend in Kauf nahm. "Unsere Nachbarn", erklärt Friedländer, "haben weggesehen. Und dann gesagt: Wir wussten von nichts."

Vor ihr haben schon andere Redner der Gedenkveranstaltung versucht, sich dem kaum Fassbaren mit eigenen Worten zu nähern. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) erinnerte daran, dass "erst das Schweigen der Mehrheit die Züge nach Auschwitz fahren ließ". Eine Aufforderung an die heutige Jugend, sei das, gegen neue Ausläufer des Antisemitismus aktiv einzutreten: "Steht auf gegen Judenhass!", riet Grütters allen jugendlichen Gästen zu. Von 1941 bis 1945 seien 50 000 jüdische Berliner in die Vernichtungslager gelangt. Die Station in Grunewald, sagte Grütters, war damals ein "Verladebahnhof für menschliche Fracht".

Am heutigen Mahnmal Gleis 17 kann Rabbiner Daniel Alter die drückende Last der Geschichte noch immer spüren. "Dieser Ort zwingt mich, ins Korn zu schauen", beschrieb er die eindringliche Wirkung von Gleis 17. Und auch von ihm erging ein Aufruf zur Zivilcourage und zur Bekämpfung von Diskriminierung jedweder Art. Denn sie, glaubt der Rabbiner, ist immer die Vorstufe zur Gewalt.

Eigene Zugangswege zum Deportationswahnsinn der Nazis suchten an diesem Tag Schüler des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums mit ihren Recherchen zu einzelnen Schicksalen der Opfer. Dies sei ein Versuch, über die reine Sachlichkeit von Geschichtstexten und Zahlen hinauszukommen, hieß es von einer jungen Rednerin.

Und dann also hatte Margot Friedländer selbst das Wort, spricht mit ruhiger Stimme darüber, welches Glück sie hatte, dass der Zug, in den man sie 1944 einpferchte, von Grunewald aus nicht nach Auschwitz fuhr, sondern nach Theresienstadt, wo sie die Tortur bis zur Befreiung ertrug. Überwältigt und unter Tränen legt sie schließlich mit Hunderten anderen Festgästen weiße Rosen am Bahnsteig nieder. Eindringliche Szenen, die sich wohl jedem Gast ins Gedächtnis brennen werden. Margot Friedländer sieht ihre Anwesenheit als Pflicht an: "Ich habe heute für alle gesprochen, die das nicht mehr können."

Thomas Schubert / tsc
Autor:

Thomas Schubert aus Charlottenburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

Folgen Sie diesem Profil als Erste/r

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 489× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 452× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 407× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 439× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.751× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.