Ärztin von den Nazis in den Freitod getrieben
Die Ärztin Dr. Ilse Kassel lebte und praktizierte an der heutigen Wachsmuthstraße 9, wo seit dem 5. Juli 2008 ein Stolperstein an sie erinnert. Die am 9. Juni 1902 als Tochter des Sanitätsrates Dr. Woldemar Kassel in Wittenau geborene Frau hatte nach dem Abitur an der Humboldt-Oberrealschule in Tegel in Berlin und Freiburg Medizin studiert. Nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie 1930 dessen Praxis an der Wachsmuthstraße 9. Politisch engagierte sie sich in der SPD.Die nationalsozialistischen Behörden entzogen der Ärztin wegen ihrer jüdischen Abstammung bereits am 1. Juli 1933 die kassenärztliche Zulassung und am 3. Mai 1938 auch die Approbation. Wegen der falschen Anschuldigung wegen Hochverrats saß sie 1935 und 1936 in der Haftanstalt Moabit ein. Nach einer erneuten Verurteilung wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu drei Jahren Zuchthaus gebar sie im Gefängnis am 9. Mai 1937 ihre Tochter Edith. Ihr Auswanderungsantrag nach Palästina, wohin schon ihre Mutter Hedwig und ihr Bruder Theo ausgewandert waren, scheiterte mit dem Kriegsausbruch 1939.
Nach der Entlassung aus dem Zuchthaus arbeitete Dr. Ilse Kassel zunächst als Krankenschwester, dann als Zwangsarbeiterin in der Rüstungsindustrie. Um einer erneuten Verhaftung zuvor zu kommen, tauchte sie im September 1942 mit ihrer Tochter unter. Durch Vermittlung ihrer ehemaligen Patientin Tony Großmann gelangten die beiden auf einen Bauernhof in Alt-Gurkowschbruch / Neumark in der Nähe von Landsberg / Warthe.
Vermutlich durch Verrat kam ihnen die Gestapo auf die Spur. Mutter und Tochter gelang noch die Flucht, allerdings sah die Mutter keinen Ausweg mehr als den Freitod. Sie versuchte, sich gemeinsam mit ihrer Tochter in der Netze umzubringen. Während die Mutter dabei starb, wurde ihre Tochter gerettet, später jedoch in Auschwitz ermordet. Für Ilse Kassel setzte die Polizei das Todesdatum 20. September 1943, 17.30 Uhr fest. Ilse Kassels Helferin Tony Großmann wurde zu zweieinhalb Jahren Konzentrationslager verurteilt. Sie überlebte, und wurde 1993 für ihr selbstloses Handeln mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Die Umbenennung des Schloßplatzes nach dem Opfer der Nationalsozialisten war 2010 in der Bezirksverordneten-Versammlung von Bündnis 90/Die Grünen und SPD beantragt worden.
Autor:Christian Schindler aus Reinickendorf |
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