Gedenken an Erich Schulz auf dem Friedhof Columbiadamm

Gedenken am Grab: Johannes Kahrs, Vorsitzender des Vereins "Reichbanner Schwarz-Rot-Gold", Innensenator Andreas Geisel und Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. | Foto: Schilp
2Bilder
  • Gedenken am Grab: Johannes Kahrs, Vorsitzender des Vereins "Reichbanner Schwarz-Rot-Gold", Innensenator Andreas Geisel und Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand.
  • Foto: Schilp
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Erich Schulz war das erste Berliner Todesopfer aus den Reihen des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“. Am 25. April 1925 wurde er auf offener Straße erschossen. Genau 93 Jahre später gab es für ihn eine Gedenkfeier auf dem Friedhof am Columbiadamm 122.

Das Reichsbanner war ein parteiübergreifender „Wehrverband“ zum Schutz der jungen Weimarer Republik. Sozialdemokraten, Mitglieder der Deutschen Demokatischen Partei (DDP) und des katholischen Zentrums setzten sich für die Achtung der neuen Verfassung ein. Ihm gehörten vor allem ehemalige Soldaten an, die im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten. Der junge, parteilose Kreuzberger Lagerarbeiter Erich Schulz war seit dem Gründungsjahr 1924 dabei.

Auch wenn es heute seltsam anmutet: Paramilitärische Organisationen waren damals an der Tagesordnung, es gab Dutzende. Die Freunde der Weimarer Republik hatten es mit vielen bewaffneten Feinden zu tun und bewaffneten sich ebenfalls. Beispielsweise gründeten die Kommunisten 1924 den „Roten Frontkämpferbund“, ein Jahr zuvor hatten sich Ultra-Rechte zum „Bund Wiking“ zusammengetan. Zu ebendieser Gruppe gehörte der Mörder von Erich Schulz.

Schulz war mit Mitstreitern auf einem offenen Möbelwagen in Schöneberg unterwegs, um Wahlkampf für Wilhelm Marx von der Zentrumspartei zu machen, der gegen Paul Hindenburg für das Amt zum Reichspräsidenten kandidierte und später recht knapp unterlag. Wie auch immer: Das Auto wurde von den Rechten angehalten. Der 21-Jährige Alfred Rehning schoss auf den sechs Jahre Älteren. Schulz starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Die Tat blieb ungesühnt. Ein Schwurgericht sprach Rehning vom Vorwurf der tödlichen Körperverletzung mit Todesfolge frei.

„Die Polizei ermittelte schnell, Anklage wurde zügig erhoben, doch die Justiz war auf dem rechten Auge blind“, sagte Innensenator Andreas Geisel (SPD) auf der Gedenkfeier. Zwar seien beim Täter eine geladene Pistole und zwei Reservemagazine gefunden worden. Doch das Gericht argumentierte, er sei schließlich im Besitz eines Waffenscheins gewesen, und ein Entkommen des politischen Gegners hätten ihm Spott und Beschimpfungen aus den eigenen Reihen eingebracht. Sie erkannten auf Notwehr. „Ein trauriges Lehrbeispiel dafür, was passiert, wenn ein Staat nicht auf extremistische Täter reagiert“, so Geisel. Er zitierte eine Historikerin, die vom Reichsbanner als „der größten vergessenen Millionenorganisation“ in der Weimarer Republik spricht. Tatsächlich wuchs sich bereits die Beerdigung von Erich Schulz zu einer der größten Demonstrationen der Berliner Arbeiterschaft im Jahr 1925 aus, wie Johannes Tuchel von der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ erklärte.

So sollte es bleiben. Bis zur Machtergreifung Hitlers 1933 gab es auf dem Gottesacker, der damals noch Garnisonsfriedhof hieß, am Todestag von Schulz regelmäßige Veranstaltungen und Kundgebungen. Erstaunlicherweise überstand der Grabstein die Zeit des Faschismus. Tuchel hat eine Vermutung, warum: „Die Nazis haben sich nicht getraut, ihn wegzumachen, weil ‚Kamerad’ draufstand.“ Schließlich benutzten sie diese Bezeichnung selbst.

Neben fünf Reichskanzlern hatte das Reichsbanner so bekannte Mitglieder wie Philip Scheidemann, Otto Wels, Julius Leber, Kurt Schumacher, Paul Löbe und Theodor Heuss. Im Jahr 1953 gründete sich die Organisation als Verein „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold – Bund aktiver Demokraten“ neu. Seitdem widmet er sich besonders der politisch-historischen Bildungsarbeit. Die Mitglieder haben für die Restaurierung des Grabsteins gesorgt und dafür, dass es im vergangenen Jahr zum ersten Mal nach langer Zeit wieder ein öffentliches Gedenken an den Ermordeten gab. Es wird nicht das letzte bleiben.

Wer mehr wissen will: In der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13, läuft die Ausstellung „Für Freiheit und Republik! Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“.

Gedenken am Grab: Johannes Kahrs, Vorsitzender des Vereins "Reichbanner Schwarz-Rot-Gold", Innensenator Andreas Geisel und Johannes Tuchel von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. | Foto: Schilp
Die Ruhestätte von Erich Schulz, der mit 27 Jahren starb. | Foto: Schilp
Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

25 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

PolitikAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 54× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 45× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 153× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 556× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.