Vegan war der letzte Anlass: Jürgen Palla gibt die Rathauskantine auf

Jürgen Palla in der Küche der Rathauskantine. Seit 30 Jahren ist er dort der Chef. Aber nicht mehr lange. | Foto: Thomas Frey
2Bilder
  • Jürgen Palla in der Küche der Rathauskantine. Seit 30 Jahren ist er dort der Chef. Aber nicht mehr lange.
  • Foto: Thomas Frey
  • hochgeladen von Thomas Frey

Kreuzberg. Jürgen Palla kann ein Jubiläum feiern. Am 2. Januar 1987, also vor 30 Jahren, stieg er als Pächter der Kantine im Rathaus Kreuzberg ein.

Der runde Geburtstag ist gleichzeitig der letzte, den der 63-Jährige als Chef erleben möchte. "Im Juni ist für mich hier Schluss", erklärt Palla im Gespräch mit der Berliner Woche.

Der letzte Anlass für seine Entscheidung, die Rathauskantine aufzugeben, sei das vegane Bürgerbegehren gewesen, macht er deutlich. Wie berichtet werden dafür seit September Unterschriften gesammelt. Die Forderung: In allen unter der Ägide des Bezirks stehenden Kantinen soll es jeden Tag mindestens ein Gericht geben, das vollständig frei von tierischen Zutaten ist. Hat der Vorstoß Erfolg, dann wären vor allem die Schulmensen davon betroffen. Die jährlichen Mehrkosten beziffert die Verwaltung auf knapp 300 000 Euro. Als privater Betreiber einer bezirklichen Verköstigungsstätte würde auch Jürgen Palla unter die vegane Vorgabe fallen. "Aber das tue ich mir nicht an."

Es folgen dann eine Menge Gründe, warum er diese Idee für einen ziemlichen Blödsinn hält. "Ich müsste meinen Betrieb völlig umstellen, in der Küche einen Bereich vorhalten, der nur veganen Produkten vorbehalten ist." Denn sie dürften ja keinesfalls in Berührung mit irgend etwas Tierischem kommen. Desweiteren bräuchte er einen ausgebildeter Koch für dieses Speisenangebot. Rechne man das alles um, würde ein solches Gericht ungefähr zwei Euro mehr kosten als der heutige Standard. "Ich weiß nicht, ob viele meiner Kunden sich das finanziell leisten könnten oder möchten." Die aktuelle Preisspanne in der Rathauskantine bewegt sich zwischen drei Euro für den Eintopf und knapp sechs Euro für ein Hauptgericht mit Fleisch oder Fisch.

Ein tägliches vegetarische Menü hat Jürgen Palla schon lange auf der Karte. Das sei heute gar nicht mehr anders zu machen und werde auch gut angenommen. Selbst der einst von den Grünen propagierte Veggie-Day hätte ihn vor wenige Probleme gestellt. Und dass gerade Heranwachsende an gesunde Ernährung herangeführt werden sollen, unterschreibt er ebenfalls sofort. Aber regelmäßig ein Gericht anzubieten, das weder Eier noch Milch, Butter oder Käse enthalten darf, hält der Küchenmeister schon aus kulinarischen Gründen für einen Frevel an den Geschmacksnerven.

Und er hat Zweifel, ob es überhaupt eine ausreichende vegane Nachfrage gibt. Erst recht bei denjenigen, die regelmäßig die Rathauskantine aufsuchen. Das seien nicht nur die Mitarbeiter der Verwaltung, so seine Beobachtung. Bei vielen Besuchern handle es sich um Menschen, die im Kiez leben oder arbeiten. Auch aus anderen Bezirken kämen regelmäßige Gäste.

Ein Alleinstellungsmerkmal des Casinos ist seine Lage im zehnten Stock. Von dort gibt es einen phantastischen Blick über die Stadt. Selbst in Reiseführern und Online-Portalen wird es deshalb erwähnt.

Was die Lieblingsgerichte betrifft, habe sich in den vergangenen 30 Jahren so viel gar nicht geändert, findet Jürgen Palla. Selbst zubereitete Hausmannskost sei immer noch sehr beliebt – ob Gulasch, Rouladen oder ein Hühnerfrikassee. Natürlich hergestellt aus ganzen Hühnern, die er eigenhändig erstanden habe. Was sich schon daran erkennen lasse, dass die Fleischstücke auf dem Teller unterschiedliche Größen aufweisen und nicht immer die gleiche Form haben, wie bei abgepackten Produkten.

Nicht nur bei solchen Erklärungen fällt es einigermaßen schwer, sich vorzustellen, dass der gebürtige Badener das alles in einem halben Jahr hinter sich lassen möchte. Das werde sicher nicht einfach. "Allein, wenn ich an die vielen Sonnenaufgänge denke, die ich hier erlebt habe." In diesem Genuss kam er schon deshalb, weil sein Arbeitstag normalerweise um 5 Uhr morgens beginnt.

Er wolle in Zukunft noch einmal etwas anderes machen, vielleicht im Cateringbereich arbeiten. Mit seinem wahrscheinlichen Nachfolger sei auch schon geklärt, dass der die acht Mitarbeiter übernimmt. Und wenn große Not herrsche, könne es auch sein, dass er selbst noch einmal aushelfe. Nur auf die mögliche vegane Herausforderung muss Jürgen Palla den neuen Pächter noch etwas genauer vorbereiten. tf

Jürgen Palla in der Küche der Rathauskantine. Seit 30 Jahren ist er dort der Chef. Aber nicht mehr lange. | Foto: Thomas Frey
Aussicht über die Stadt. Jürgen Palla hat an seinem Arbeitsplatz viele Sonnenaufgänge erlebt. | Foto: Thomas Frey
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

47 folgen diesem Profil

2 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 171× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 122× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 178× gelesen
Jobs und KarriereAnzeige
Foto: VEAN TATTOO
4 Bilder

Tattoo-Kurse
Ausbildung für Topberuf des letzten Jahrzehnts

Eine Frage, die immer aktuell ist, auch wenn man schon vor langer Zeit erwachsen ist. Sehr oft entscheiden wir uns aufgrund des sozialen Drucks für einen Beruf. Wie oft haben Sie sich gefragt, was aus Ihnen geworden wäre, wenn Sie auf sich selbst gehört hätten? VEAN TATTOO hat diese wichtige Frage vor zwölf Jahren ehrlich für sich selbst beantwortet und reicht daher ohne Zweifel allen, die über ihren ersten oder neuen Beruf nachdenken, eine helfende Hand. Es liegt an Ihnen, zu entscheiden,...

  • Mitte
  • 25.03.24
  • 1.517× gelesen
  • 1
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.