Was Mister President mit dem Kreuzberger Lokal zu tun hat

Stammplatz über dem Tresen. Angelika Leistner mit der Erinnerung an Kennedy. | Foto: Frey
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Kreuzberg. Am 26. Juni 1963, also vor genau 50 Jahren, besuchte John F. Kennedy Berlin und hielt vor dem Schöneberger Rathaus seine berühmte Rede ("Ich bin ein Berliner").

Seine Triumpffahrt führte ihn damals auch durch Kreuzberg. Halt machte er hier aber nur am Checkpoint Charlie. Trotzdem gibt es noch einen anderen Ort, der bis heute eine bleibende Erinnerung an diese Visite hat.Nämlich in der "Henne" am Leuschnerdamm/Ecke Waldemarstraße. Das 1908 eröffnete Lokal war unter dem damaligen Namen "Alt-Berliner Wirtshaus" schon vor 50 Jahren eine bekannte Kiezkneipe. Eine weitere Besonderheit erlangte es nach dem Mauerbau 1961. Da die Bezirksgrenze zwischen Kreuzberg und Mitte und damit zwischen West- und Ost-Berlin entlang des Leuschnerdamms und der Waldemarbrücke verlief, führte der Betonwall direkt am Eingang der Gaststätte vorbei.

Die exponierte Lage als sozusagen letzte Tränke im freien Berlin sowie die Bekanntheit als Kreuzberger Institution veranlassten den Betreiber Konrad Litfin 1963 zu einer ungewöhnlichen Aktion. Als er vom Kennedy-Besuch erfuhr, verfasste er ein Schreiben an das Weiße Haus. "Ich bin der Wirt eines Alt-Berliner Wirtshauses direkt an der Mauer", schrieb Litfin an den "Sehr geehrten Herrn Präsident". Er habe bei ihm die Möglichkeit, direkt mit der einheimischen Bevölkerung zu sprechen. Deshalb erlaube er sich, "Sie einzuladen und eine Berliner Spezialität - die Berliner Weiße - mit mir und meinen Gästen zu probieren."

Konrad Litfin (1899-1968) hatte das Lokal 1926 von seinem Vater, dem Wirtshausgründer Paul Litfin (1868-1943) übernommen. Unter seiner Ägide wurde die Kneipe auch zu einem Treffpunkt von Künstlern und Schauspielern. Hans Albers oder Harry Piel mischten sich hier mit den Stammkunden aus der Nachbarschaft. Ein leibhaftiger US-Präsident in seinen Räumen, so dachte wohl Konrad Litfin, das wäre die Krönung.

Leider wurde aus seinem Besuch nichts. Trotzdem hat die Einladung bis heute ihre Spuren in der Henne hinterlassen. Denn noch bevor Kennedy nach Berlin aufbrach, erhielt Konrad Litfin über das US-Außenministerium einen freundlich formulierten Absagebrief. Die Verpflichtungen des Präsidenten während seines Berlin-Aufenthalts würden einen Abstecher in das Lokal leider unmöglich machen, so der Inhalt des Schreibens an den "Dear Mr. Litfin". Dazu war der Antwort ein signiertes Foto von Kennedy beigelegt.

Den Brief und das Bild ließ der Empfänger rahmen und in seinem Wirtshaus aufhängen. Dort befinden sie sich noch immer hinter dem Tresen. John F. Kennedy wurde wenige Monate nach seinem triumphalen Auftritt in Berlin in Dallas ermordet. Konrad Litfin starb fünf Jahre später. Seine Frau Rosa (1916-1988) führte das Lokal bis 1980 weiter und erfand während dieser Zeit die heutige Spezialität, die krossen Milchmasthähnchen. Aber nicht deswegen, sondern wegen ihrer Nachfolger hat die Gaststätte seit mehr als 30 Jahren den Namen Henne. Denn die hießen Petra und Bernd Henne. Nach ihnen kam 1991 Angelika Leistner, die heutige Chefin.

Geblieben ist in all der Zeit das Kennedy-Konterfei. Es erlebte in den vergangenen fünf Jahrzehnten Proteststürme, die Veränderungen in Kreuzberg und vor allem 1989 den Mauerfall vor der Haustür. Kennedys Aussage "Ich bin ein Berliner" ist deshalb in der Henne symbolisch Wirklichkeit geworden.

Übrigens: Angelika Leistner hat die Briefaktion anlässlich des Obama-Besuchs wiederholt und ihn ebenfalls in die Henne eingeladen. Dazu ist es ebenfalls nicht gekommen. Aber vielleicht kommt auch von ihm noch ein Schreiben.

Die Episode mit Kennedy ist auch in dem Buch "Geschichte einer Kultkneipe. 100 Jahre Alt-Berliner Wirtshaus Henne" nachzulesen, das 2009 erschienen ist.

Thomas Frey / tf
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

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