Türkiyemspor zwischen Insolvenz und Abstieg

Vollen Einsatz zeigten die Türkiyemspor-Kicker (blaues Trikot) hier im Ligaspiel gegen den SC Gatow. Am Ende reichte es nicht. | Foto: Mediateam Türkiyemspor
  • Vollen Einsatz zeigten die Türkiyemspor-Kicker (blaues Trikot) hier im Ligaspiel gegen den SC Gatow. Am Ende reichte es nicht.
  • Foto: Mediateam Türkiyemspor
  • hochgeladen von Thomas Frey

Kreuzberg. Es gibt den bekannten Fußballerspruch: "Erst hatten wir kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu." Der gilt, wenn auch etwas eingeschränkt, für die derzeitige Situation beim Kreuzberger Kiezclub BSV Türkiyemspor.

Richtig dumm gelaufen ist für den Verein die abgelaufene Saison der ersten Männermannschaft in der Berlin-Liga. Nahezu die gesamte Spielzeit hielt das neu formierte Team dort gut mit, ergatterte am Ende 44 Punkte und konnte auf ein fast ausgeglichenes Torverhältnis verweisen. Was aber trotzdem nicht für den Klassenerhalt reichte. Denn ausgerechnet am letzten Spieltag wurde Türkiyemspor auf einen Abstiegsplatz durchgereicht. Dabei sind die sportlichen Leistungen nicht einmal das Hauptproblem. Weitaus mehr wird der Verein von der seit Ende 2011 bestehenden Insolvenz belastet. Immerhin sieht Sprecher Robert Claus hier Licht am Ende des Tunnels. "Inzwischen läuft das Insolvenzverfahren. Wir hoffen, dass wir es zum Jahresende abschließen können." Der Schuldenstand wurde auf etwas mehr als eine halbe Million Euro taxiert. Zwei Großgläubiger hätten inzwischen auf ihr Geld in einer Gesamtsumme von etwa 200 000 Euro verzichtet. Bleiben noch ungefähr 300 000 Euro, die anteilsmäßig abgegolten werden sollen. Vor allem durch die Spendenaktion "Rettungsschirm für Türkiyemspor", bei der inzwischen rund 25 000 Euro eingesammelt wurden. Parallel dazu wurden der Vorstand und der Aufsichtsrat neu besetzt. Im Kontrollgremium sitzen inzwischen mit dem Vorsitzenden Robert Schaddach (SPD), Öczan Mutlu (Bündnis90/Grüne) und Kurt Wansner (CDU) auch einige Landespolitiker.

Dass Türkiyemspor in Schieflage gekommen ist, hat allerdings weniger mit nicht vorhandenem Glück, sondern mit Unvermögen und Größenwahn zu tun. Geblendet von den Erfolgen der frühen 1990er Jahre wollten schnell wechselnde Vereinsführungen erneut am ganz großen Rad drehen. Sportlich sah es zumindest zeitweise nach einer Renaissance aus. Noch vor drei Jahren spielte das erste Herrenteam in der Regionalliga, der vierthöchsten deutschen Spielklasse. Erkauft wurde das mit finanziellem Risiko, das 2011 in der Pleite endete. Schon zuvor war die Mannschaft in die Oberliga abgestiegen. Von dort meldete sie sich nach der Insolvenz vom Spielbetrieb ab. Im Sommer 2012 erfolgte der Neustart in der Berlin-Liga. Nach nur einjähriger Zugehörigkeit ging es von dort jetzt weiter nach unten in die Landesliga.

Der Grund für die Misere sei natürlich vor allem hausgemacht, gibt auch Robert Claus zu. "Aber nicht nur. Wir haben auch in all dieser Zeit wenig Unterstützung erfahren." Vor allem beklagt er das Desinteresse des Bezirks. Lange Zeit habe Türkiyemspor in Kreuzberg nicht einmal eine feste Trainingsstätte gehabt, sondern musste seine Jugendteams auf verschiedene Sportplätze verteilen. Inzwischen könne der Verein die Anlage in der Blücherstraße nutzen, allerdings noch immer ohne einen Schlüsselvertrag.

Dabei sei gerade die Nachwuchsarbeit ein Pfund, mit dem der Club wuchern will und kann. Rund 400 Jugendliche kicken bei Türkiyemspor. "Es könnten sogar noch mehr sein, aber wir müssen leider immer noch viele abweisen." Rund ein Viertel der Aktiven sind weiblich. Der Einsatz für den Mädchen- und Frauenfußball wird deshalb ebenso herausgestrichen, wie weitere Aktionen auch außerhalb des Fußballfeldes, bei denen sich der Verein gerade in vergangenen Jahren engagiert hat. Etwa Kampagnen gegen Rassismus und Homophobie. Gewürdigt wurde das unter anderem mit dem Integrationspreis des Deutschen Fußball Bundes.

Dazu kommt der Name, die Marke als vielleicht größtes Kapital. Robert Claus wehrt sich zwar vehement gegen den Begriff Traditions-club. Aber verwendet man diese Vokabel außerhalb sonstiger Fußballseligkeit, dann passt er hier schon gut. Türkiyemspor ist bis heute der deutschlandweit bekannteste von Migranten gegründete Verein. Er verfügt noch immer über einen Nimbus weit über Kreuzberg hinaus. Wenn, wie vor einigen Tagen amerikanische Studenten zu Besuch kommen und sich vor Ort über Integration informieren wollen spricht das ebenso dafür, wie das Theaterstück "Liga der Verdammten", mit dem das Ballhaus Naunynstraße eine besondere Hommage an Türkiyemspor auf die Bühne gebracht hat.

Was alles nichts daran ändert, dass der Wiederaufstieg nur in kleinen Etappen erfolgen kann. "Als ersten Schritt wollen wir im Januar so weit sein, dass wir bei plus-minus-Null neu starten können", sagt Robert Claus. Große finanzielle Sprünge werde es auch danach nicht geben. Spieler müssen weiter ohne Entlohnung gegen den Ball treten. Mehrere Kicker haben inzwischen den Verein verlassen und werden durch Nachwuchskräfte ersetzt. Die Ziele für die Landesliga sind deshalb auch bescheiden. "Innerhalb der nächsten drei Jahre wollen wir dort wieder zum Sprung nach oben ansetzen."

Thomas Frey / tf
Autor:

Thomas Frey aus Friedrichshain

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

47 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Vernachlässigen Sie nicht Ihre Füße. Dieses wichtige Körperteil trägt uns durchs Leben.

Probleme und ihre Lösungen
Probleme rund um den ganzen Fuß

Haben Sie Ihren Füßen jemals gebührende Aufmerksamkeit geschenkt? Oft vernachlässigen wir sie, solange sie funktionieren und schmerzfrei sind. Sobald Beschwerden auftreten, wird uns die Bedeutung dieses komplexen Körperteils schlagartig bewusst. Unsere zertifizierten Fußchirurgen geben Ihnen Einblicke in die Anatomie des Fußes und behandeln gezielt Fehlstellungen und Verletzungen mit innovativen Lösungsansätzen. Erfahren Sie mehr über Fußprobleme wie Achillessehnenbeschwerden,...

  • Hermsdorf
  • 25.04.24
  • 131× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Veggie & Vega in der Gneisenaustraße 5.
6 Bilder

Veggie & Vega Restaurant
Gesundes Essen mit exzellentem Geschmack

Seit Frühjahr 2023 existiert das Restaurant Veggie & Vega in Kreuzberg, das eine Vielzahl an vegetarischen sowie veganen Speisen aus der (süd)indischen Küche anbietet. "Gesund" lautet hier dementsprechend das Motto, wobei alle Gerichte durch die spezielle Komposition von frischen Zutaten und den ganz passenden Gewürzen zu einem wahren Gaumenschmaus fusionieren. Die vegetarische oder vegane Ernährungsform ist seit Langem nicht nur ein Trend, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung, der immer...

  • Kreuzberg
  • 25.04.24
  • 121× gelesen
WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 195× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 581× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.