„Es geht nicht von heute auf morgen“
Interview mit Bürgermeister Michael Grunst zum Jahresbeginn

Bürgermeister Michael Grunst im Rathaus Lichtenberg, seinem Amtssitz. | Foto: Bezirksamt Lichtenberg
  • Bürgermeister Michael Grunst im Rathaus Lichtenberg, seinem Amtssitz.
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Der Jahreswechsel ist für uns die Zeit der Rück- und Ausblicke. Wir sprachen auch diesmal mit dem Lichtenberger Bürgermeister Michael Grunst (Die Linke) über besondere Aufreger im vergangenen Jahr und die Agenda für 2020.

Sie waren im Dezember erstmals in Mosambiks Hauptstadt Maputo zu Besuch, dort hat Lichtenberg einen Partnerbezirk. Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Michael Grunst: Mosambik gehört zu den ärmsten Ländern der Welt, es kämpft mit enormen Herausforderungen. Dazu gehören Armut und eine niedrige Alphabetisierungsrate. Trotzdem hat unsere Delegation bei der Bevölkerung viel Optimismus verspürt und vor allem Gastfreundschaft erfahren dürfen. Unsere Städtepartner in Kamubukwana setzen auf Bildung als Schlüssel zum Erfolg, das zieht sich auch durch unsere Partnerschaft. Daher freut mich die geplante Schulpartnerschaft zwischen der Lichtenberger Brodowin Grundschule und der Grundschule Mbuzine.

Was kann Lichtenberg von Kamubukwana lernen?

Michael Grunst: Unsere Partner sind sehr konsequent und ehrlich bezüglich der Herausforderungen, vor denen sie stehen. Dazu zählt auch der Klimawandel mit seinen Folgen, ihr Kontinent ist am meisten davon betroffen. Gemeinsame Projekte des Umweltschutzes und der Sensibilisierung für den Klimawandel helfen hoffentlich, auch die Lichtenberger noch stärker für diese Belange zu aktivieren.

Ärzte und Infrastruktur

Was waren im Bezirk die schwierigsten Themen des vergangenen Jahres?

Michael Grunst: Wenn ich mit den Bürgern spreche, werden mir immer wieder die Themen Ärzteversorgung, Verkehr, bezahlbarer Wohnraum und soziale Infrastruktur genannt. Daran arbeiten wir hart. Kürzlich haben wir uns mit der Kassenärztlichen Vereinigung getroffen, weil wir mehr Ärzte im Bezirk haben wollen. Wir führen Gespräche mit der BVG und der S-Bahn, erinnern die Senatsverwaltung für Verkehr daran, dass es außerhalb des S-Bahnringes auch noch ein Berlin gibt und konzentrieren uns darauf, Schul- und Kitaplätze zu schaffen.

Stichwort Mietenexplosion: Sie haben im Sommer einen bösen Brief an den Konzern Akelius geschrieben, weil der für eine Lichtenberger Wohnung einen absolut überzogenen Mietpreis aufgerufen hatte. Wie war eigentlich die Reaktion?

Michael Grunst: Wohnen ist ein Menschenrecht, und die Mietentwicklung der vergangenen Jahre zwingt viele Menschen zu massiven Einschränkungen in ihrer Lebensführung. Wir haben uns mit Akelius im Weitlingkiez getroffen und ausgetauscht. Ganz ehrlich, wenn mir Vertreter eines Wohnungskonzerns erzählen, dass ein Mietpreis von 20 Euro pro Quadratmeter zur Durchmischung des Kiezes beiträgt, dann brauchen sich die Unternehmen nicht wundern, dass die Politik interveniert – zum Beispiel in Form des Mietendeckels.

Kann der Bezirk auch etwas tun, damit Wohnen bezahlbar bleibt?

Michael Grunst: Ja, im Rahmen unserer Möglichkeiten machen wir das auch: Wir identifizieren Potentiale für den Bau von bezahlbaren Wohnungen, denn der Neubau ist ein wesentliches Element der Mietenpolitik. Hier haben wir mit der Howoge eine starke Partnerin. Uns muss es aber noch besser gelingen, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Wohnungsbaugenossenschaften neue Wohnungen bauen. Außerdem nutzen wir in Einzelfällen das Vorkaufsrecht und haben in Lichtenberg eine kostenlose Mieterberatung eingeführt. Der Senat verschafft zusätzlich mit dem Mietendeckelgesetz der Stadt die nötige Atempause.

Was heißt "familienfreundlich"?

Lichtenberg ist gerade zum zweiten Mal als familienfreundliche Kommune zertifiziert worden – als einziger Berliner Bezirk. Was glauben Sie, warum andere nicht nachziehen?

Michael Grunst: Andere Bezirke fragen inzwischen schon bei uns nach. Natürlich bringt die Zertifizierung eine Menge Arbeit mit sich und bedeutet auch, finanzielle Schwerpunkte zu setzen. Aber es lohnt sich. Was gibt es Schöneres für eine Kommune, als von Dritten bescheinigt zu bekommen, dass sie kinder- und familienfreundlich ist? Das alles basiert auf einem langen und komplizierten Verfahren, wir mussten viele Voraussetzungen erfüllen. Umso mehr freut es uns, dass wir es geschafft haben.

Was bringt das Audit dem Bezirk denn konkret?

Michael Grunst: Die Bestätigung unserer Anstrengungen. Es ist aber auch ein Auftrag, weiter daran zu arbeiten. Mehr Kitaplätze, gute Schulen, generationsübergreifende Projekte, ein zweites Familienbüro, die Unterstützung Alleinerziehender und Maßnahmen zur Kinderarmutsprävention: Unsere Vorhaben wurden vom zertifizierenden Verein als besonders konkret und zielführend gelobt.

Blicken wir voraus. Was haben Sie für 2020 ganz oben auf der Agenda?

Michael Grunst: Wohnungsbau, Schulbauoffensive, neue Kitaplätze. Die Schwerpunkte des vergangenen Jahres werden auch weiterhin im Fokus unserer Arbeit stehen. Nach Jahrzehnten des Sparens müssen wir vieles nachholen, das geht nicht von heute auf morgen. Wir werden die Stadtteildialoge fortsetzen und mit den Menschen die Veränderungsprozesse in ihren Kiezen diskutieren. Im Februar wird der Berliner Senat in Lichtenberg tagen. Im Bezirksamt haben wir uns darauf verständigt, mit ihm auch die Verkehrsinfrastruktur zu diskutieren. Hier müssen alle eine Schippe drauflegen.

Was wünschen Sie den Lichtenbergern im neuen Jahr?

Michael Grunst: Gesundheit und privates Glück, Zeit für die Familie und Freunde - aber auch einen Blick für die Menschen zu haben, denen es nicht so gut geht.

Autor:

Berit Müller aus Lichtenberg

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