Von der Glanzzeit direkt in die Krise
Tempelhof Museum zeigt Ausstellung zum Seebad Mariendorf

Vereinsschwimmerinnen des BSV Friesen beim Sprung ins kühle Nass. Die Aufnahme wurde um 1910 gemacht. | Foto: Otto Haeckel/Archiv MTS
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  • Vereinsschwimmerinnen des BSV Friesen beim Sprung ins kühle Nass. Die Aufnahme wurde um 1910 gemacht.
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Die bezirklichen Museen, Galerien und Erinnerungsorte sind wieder geöffnet. Da trifft es sich ganz wunderbar, dass das Tempelhof Museum gerade seine neue Sonderausstellung fertiggestellt hat: „Kommt schwimmen – Das Seebad Mariendorf 1876-1950“.

Viele wissen gar nicht, dass es an der heutigen Ullsteinstraße einmal eine der schönsten und größten Badeanstalten weit und breit gab. Heute hat dort, unweit des Mariendorfer Damms, eine Seniorenresidenz ihren Sitz. Die Gründung 1876 ist dem Unternehmer Adolf Lewissohn zu verdanken. Zuerst war das Bad kaum mehr als ein Sprungturm an einem Tümpel, Rest des Biesendorfer Pfuhls. Doch im Laufe der Zeit machte Lewissohn daraus ein echtes Schmuckstück, samt Park, Seeterrassen, Restaurant, Wasserfall und Grotte.
Es ging nicht nur ums Vergnügen. „Ende des 19. Jahrhunderts ertranken in Deutschland jedes Jahr um die 8000 Menschen, nur drei Prozent der Berliner Bevölkerung konnte schwimmen“, erklärt der wissenschaftliche Volontär Florian Sachse, der monatelang in Archiven gestöbert und Material für die Schau zusammengetragen hat. Er ist beeindruckt von der Leidenschaft Adolf Lewinsohns für sein Bad. Der Unternehmer war in vielen Bereichen tätig, auch in Sachen Immobilien. Unter anderem sorgte er dafür, dass sich ein Gaswerk in Mariendorf ansiedelte. Es ging 1901 ans Netz. Es spülte reichlich Steuern in die Gemeindekasse, denen nicht nur der Bau des Mariendorfer Rathauses zu verdanken war und wurde später das größte in Berlin.
Im Winter „erntete“ Lewissohn Natureis vom Badesee, das damals für Brauereien oder Schlachtereien zur Kühlung unerlässlich war. Das „Eiswerk Mariendorf“ war bald weithin bekannt. Große Teile des verdienten Geldes steckte der Unternehmer in sein Herzensprojekt Seebad. Das wurde nicht nur schnell zur beliebten Ausflugsadresse, sondern auch Austragungsort sportlicher Großereignisse. „Nach einem Umbau 1910/11 gab es eine Wettkampfbahn. Hier wurden die Deutschen Schwimmmeisterschaften und die Qualifikation für die Olympischen Spiele 1912 in Stockholm ausgetragen“, so Museumsleiterin Irene von Götz.
Seine ganz große Zeit sollte das Seebad Mariendorf jedoch erst in den 1920er-Jahren erleben. Da ging es aber noch etwas prüde zu. Die Bereiche für Männer und Frauen waren getrennt. Während die Herren sich auf der Sportbahn und dem Sprungturm messen konnten, war es bei den Damen ruhiger. Ihr Teil der Anlage war eher einem Naturidyll nachempfunden.

Die Geschlechtertrennung hielt aber Familien nicht davon ab, mit Kind und Kegel nach Mariendorf zu kommen. Schließlich hatte die Anlage viel zu bieten. Belustigungen wie das „Windbeutelschnappen“ – die Leckereien hingen an einer gespannten Leine knapp über der Wasseroberfläche – waren an der Tagesordnung. Auch für jene, die das Schwimmen verschmähten, gab es etwas zu erleben. Konzerte und andere Amüsements standen regelmäßig auf dem Veranstaltungsplan. Das Restaurant hatte Platz für 2500 Personen, bei großen Festivitäten drängelten sich hier auch schon einmal um die 7000 Menschen.

Die Glanzzeit der Badeanstalt fand mit der Weltwirtschaftskrise und dem zunehmenden Antisemitismus allmählich ihr Ende. Inzwischen hatte Adolf Lewissohns Tochter Helene die Regie übernommen. Als die Nazis ans politische Ruder kamen, war ihnen die „Halbjüdin“ ein Dorn im Auge. Das Seebad geriet unter Zwangsverwaltung. Helene musste 1939 das Wohnhaus auf dem Grundstück räumen und in eine Gartenlaube ziehen. Ihr Kampf um eine Entschädigung nach dem Zweiten Weltkrieg wurde abgeschmettert, sie sollte sogar noch die Gerichtskosten tragen und leistete schließlich einen Offenbarungseid. Sie starb 1957, gebrochen und verarmt.

Das Seebad indes hatte nur noch bis 1942 geöffnet, danach diente das Restaurant unter anderem als Lazarett und Kameradschaftsheim. Nach dem Krieg wurde ein Neuanfang versucht, doch die Anlage war in die Jahre gekommen, das Wasser verschlammt. Schließlich wurde sie Anfang der 50er-Jahre abgerissen und zugeschüttet. Heute erinnern nur noch ein paar steinerne Überreste der künstlichen Grotte an die Badeanstalt.

Geöffnet ist die Ausstellung mit vielen historischen Fotografien und Dokumenten montags bis donnerstags von 10 bis 18 Uhr, freitags bis 14 Uhr und sonntags von 11 bis 15 Uhr. Der Eintritt ist frei. Voraussetzung für den Besuch ist das Buchen eines Zeitfensters unter museum@ba-ts.berlin.de oder Telefon 902 77 61 63. Außerdem ist ein aktueller Corona-Test, ein Impfausweis oder ein Nachweis für eine Corona-Genesung vorzulegen. In den Räumen ist eine FFP2-Maske zu tragen.

Dieselben Regeln gelten in den anderen kommunalen Kulturorten: im Haus am Kleistpark, Grunewaldstraße 6, im Museum Schöneberg, Hauptstraße 40, im Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße, Werner-Voß-Damm 54, sowie in den Ausstellungen „Wir waren Nachbarn“ im Rathaus Schöneberg und im Schwerbelastungskörper an der Ecke General-Pape-Straße und Loewenhardtdamm.

Besonderes Bonbon: Läuft alles nach Plan, öffnet das nagelneue Kindermuseum in der Alten Mälzerei in Lichtenrade am 4. Juni seine Türen. Weitere Infos sind auf den jeweiligen Internetseiten zu finden.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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