"96 Tonnen Grabdenkmale zerstört"
Denkmalpreis für den Förderverein des Invalidenfriedhofs

Hans Joachim Jung kennt den Invalidenfriedhof wie seine Westentasche. Er ist der Geschäftsführer des Fördervereins.  | Foto: Ulrike Kiefert
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  • Hans Joachim Jung kennt den Invalidenfriedhof wie seine Westentasche. Er ist der Geschäftsführer des Fördervereins.
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Der Förderverein des Invalidenfriedhofs hat den Denkmalpreis bekommen. Für sein Engagement um den Erhalt des Friedhof-Denkmals mit seinen vielen prominenten Gräbern.

Der Invalidenfriedhof ist ein Kleinod und zugleich nationales Denkmal und Gedenkstätte. Begründet hat ihn König Friedrich II, als er 1748 befahl, ein Invalidenhaus für "lahme Kriegsleute" vor den Stadtmauern Berlins zu erbauen. Unter hohen Bäumen liegen heute noch etwa 230 Grabstätten mit lesbaren Inschriften. Über ihnen thronen mannshohe Kreuze, zu Stein gewordene Engel, Marmorfiguren. Zahlreiche Persönlichkeiten der Berliner Stadtgeschichte haben dort, auf dem Gottesacker zwischen Spandauer Schifffahrtskanal und Scharnhorststraße nördlich des Bundeswirtschaftsministeriums, ihre letzte Ruhe gefunden. Allen voran Heeresreformer General Gerhard Johann David von Scharnhorst, dessen Marmorsarkophag auf zwei über fünf Meter hohen Sockeln ruht. Ehemalige Invalidenhaus-Kommandaten, der preußische Kriegsminister Friedrich Wilhelm von Rohdich und militärische NS-Widerständler sind dort ebenfalls begraben. Viele Gräber stammen aus dem 19. und 20. Jahrhundert, aber auch etliche Gräber aus dem 18. Jahrhundert sind gut erhalten.

Zu verdanken ist das dem Förderverein des Invalidenfriedhofs. Der kümmert sich seit seiner Gründung im November 1992 um das Gartendenkmal und die Grabstätten. Eines der heute rund 170 Vereinsmitglieder – darunter viele Organisationen – ist Hans Joachim Jung, Geschäftsführer des Fördervereins. Der Journalist, Sprachmittler, Oberstleutnant a.D. und Bundesverdienstmedaillenträger ist seit 25 Jahren dabei und kennt den Friedhof wie seine Westentasche. Und seine Geschichte, die ihn schwer gezeichnet hat. „Der Invalidenfriedhof ist nicht nur Berlins zweitältester Friedhof, sondern auch der einzige mit nachweisbar Berliner, preußischer und deutscher Geschichte“, sagt Jung. Nach den Befreiungskriegen 1813-15 fanden dort vor allem hohe Militärs ihre letzte Ruhestätte, ab Ende des 19. Jahrhunderts auch Zivilpersonen, darunter mehrere Tausend Invaliden, Arbeiter und Handwerker mit ihren Frauen und oft zu früh gestorbenen Kindern. 30.000 Grabstellen zählte der Friedhof anfangs noch. Nach 1925 waren es nur noch etwa 3000.

Nur 230 Gräber blieben übrig

Im Mai 1951 wurde der Invalidenfriedhof geschlossen. Einen Monat später begannen „erste Rekonstruktionsmaßnahmen“. Kriegszerstörte Grabmale, zwei beschädigte Mausoleen und nicht abgelaufene Grabstellen ließ man abräumen und einebnen. Der Mauerbau am 13. August 1961 leitete dann die nächte Etappe der Zerstörung ein. Ein Teil des Friedhofes wurde Grenzgebiet mit Wachtürmen, Scheinwerfern, Schießanlagen, einer Laufanlage für Wachhunde und einer Betonstraße, die über die Gräber verlief. „96 Tonnen Grabdenkmale wurden zerstört und über 25 Tonnen Grabsteine“, sagt Hans Joachim Jung. „Würde Scharnhorst hier nicht liegen, wäre der Invalidenfriedhof wahrscheinlich gänzlich verschwunden.“ Von den 3000 Gräbern, die es vor dem Mauerbau noch gab, blieben am Ende etwa 230 übrig.

Trotz der schweren Verwüstungen bot der Invalidenfriedhof nach der Maueröffnung 1990 ein noch immer nahezu geschlossenes Bild der Berliner Sepulkralkultur der vergangenen 242 Jahre – mit klassizistischen Zeugnissen, Beispielen des Jugendstils und der Neuen Sachlichkeit. Darum wurde er noch im selben Jahr unter Denkmalschutz gestellt.

Unter der Ägide des Fördervereins, den ein Kreis aktiver ehrenamtlicher Denkmalpfleger ins Leben rief, ist in den zurückliegenden Jahrzehnten viel passiert. Über dem Grabmal von Scharnhorst ließ das Landesdenkmalamt ein provisorisches Schutzdach bauen, und die Lindenallee entlang des Hauptwegekreuzes bekam neue Bäume. 1992 wurde die besonders auffällige Grabanlage des ersten Kommandanten der Invalidenhaussiedlung, Gustav Friedrich von Kessel, restauriert. Weitere Restaurierungen folgten mithilfe von Lottomitteln. Vergrabene Grabenkmale, die bei Pflegearbeiten gefunden wurden, ließ der Förderverein wiederaufstellen. 1996 wurde das neue Lapidarium fertig, und die historische Friedhofsmauer am Schifffahrtskanal saniert. „Im nächsten Jahr wollen wir den hinteren Teil der Mauer erneuern“, kündigt Jung an. Der komplette Wiederaufbau der teils schiefen Mauer wäre zu teuer.

Spätbarocke Sarkophaggräber entdeckt

Im Sommer 1998 kam es zu einem sensationellen Fund auf dem Friedhof. Bei Bauarbeiten an neuen Wasserleitungen wurden sechs spätbarocke Sarkophaggräber entdeckt. „In etwa 1,20 Meter Tiefe“, erinnert sich Hans Joachim Jung. Zuerst habe man überlegt, sie in der Erde zu lassen. „Doch dann hätten die Besucher sie nicht sehen können.“ Also hob man sie heraus. Rund 300.000 DM kostete die Aktion. Eines der Hochgräber gehört dem zweiten Kommandanten des Invalidenhauses, Georg Christoph von Daembke. Weil die Sarkophage reich verziert sind, werden sie den Winter über verpackt.

Der Invalidenfriedhof birgt aber noch viel mehr Geheimnisse. Manfred von Richthofen, der legendäre Rote Baron und berühmteste Jagdflieger des Ersten Weltkrieg, war dort begraben, bis seine sterblichen Überreste 1976 zum Familiengrab auf den Nordfriedhof in Wiesbaden überführt wurden. Der riesige, auf Hermann Görings Weisung 1937 aufgestellte Grabstein kam zunächst zum Fliegerhorst bei Wittmund, steht heute aber wieder auf dem Invalidenfriedhof.

Zurück ist auch die historische „Kaiserin Augusta-Glocke“ der ehemaligen Gnadenkirche, die 1967 gesprengt wurde. Viele Mitglieder ihrer Gemeinde fanden auf dem Invalidenfriedhof ihre letzte Ruhe. Mit Lottomitteln wurde ein Glockenturm gebaut und die Glocke im Juni 2013 feierlich eingeweiht. Das Besondere: „Wenn wir sie läuten, klingt sie ganze 50 Sekunden nach, das ist einmalig“, so Jung.

Weltweit Schlagzeilen machte der Invalidenfriedhof im Dezember 2019, als Unbekannnte nachts die Gebeine des NS-Kriegsverbrechers Reinhard Heydrich ausgraben wollten. „Selbst aus Australien riefen Journalisten an“, erzählt Jung. Gefunden hätten die Täter im Erdloch aber nichts. Heydrichs Grab war nach Ende des Zweiten Weltkriegs eingeebnet worden.

Jedes Jahr 20.000 Euro investiert

Alten Gräbern spürt der Förderverein übers Totenbuch nach. Sind die Grabplatten noch erhalten, werden sie hergerichtet und auf die Original-Grabstellen gelegt. Dazu säubert der Verein jedes Jahr die Grabsteine, 66 waren es allein in diesem Jahr. Wo die Inschrift verblasst ist, frischt ein Steinmetz die Farbe auf oder meißelt den Namen neu. Angehörige können auf dem Invalidenfriedhof Erinnerungssteine in Auftrag geben. 90 solcher Kissensteine gibt es inzwischen. In den Friedhof investiert der Förderverein jedes Jahr gut 20.000 Euro. Das meiste Geld kommt über Spenden rein. Auch der Rohdich'sche Legatenfonds der Bundeswehr unterstützt die Ehrenamtler. Fördermittel erhalte der Verein dagegen so gut wie keine, sagt Jung.

Gewürdigt wurde die Arbeit des Fördervereins nun aber auf andere Weise. Das Landesdenkmalamt Berlin hat ihm die Ferdinand-von-Quast-Medaille, den Denkmalpreis, verliehen. In der Begründung heißt es: „Dem langjährigen Engagement des Vereins ist es zu verdanken, dass sich der durch den Lauf der Geschichte schwer gezeichnete Friedhof heute wieder als aussagekräftiges Kultur- und Gartendenkmal präsentiert“.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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