Von Münster zum Mauergedenken
Seit zehn Jahren hält Dieter Operhalsky Andachten für die Todesopfer

Dieter Operhalsky kommt seit zehn Jahren von Münster nach Berlin, um ehrenamtlich in der Kapelle der Versöhnung den Maueropfern zu gedenken.  | Foto: Dirk Jericho
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  • Dieter Operhalsky kommt seit zehn Jahren von Münster nach Berlin, um ehrenamtlich in der Kapelle der Versöhnung den Maueropfern zu gedenken.
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Seit dem 13. August 2005 finden in der Kapelle der Versöhnung Andachten für die Todesopfer an der Berliner Mauer statt. Der pensionierte Beamte Dieter Operhalsky kommt mindestens ein Mal im Monat aus Münster nach Berlin, um eine der Mauerbiografien vorzulesen.

Die Mauer und die Teilungsgeschichte Deutschlands interessieren Dieter Operhalsky schon seit vielen Jahren. Als Kind war der heute 71-Jährige oft bei Verwandten in Berlin. Doch was er damals und auch bei späteren Ausflügen mit der Schulklasse nie richtig verstanden hatte, wollte er sich nach dem Mauerfall genauer angucken. 2006 zum Beispiel ist er zu Fuß den innerstädtischen Grenzbereich abgelaufen. „So ähnlich wie bei Pfadfinderspielen“ sucht er bis heute nach Mauerspuren und Relikten der Grenzgeschichte. Vor zehn Jahren, als Operhalsky bei seiner privaten Mauererkundung den Mauerradweg abfuhr, machte er an der Kapelle der Versöhnung in der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße halt. Es war 12 Uhr; und seit 2005 werden in der Kapelle immer von Dienstag bis Freitag die Biografien eines Mauertoten verlesen. Die Mauerandachten kann jeder durchführen. Und so fühlte sich Dieter Operhalsky von dem Aufruf des Lektors angesprochen, doch selbst aktiv zu werden.

140 Lebensgeschichten

Lektoren nennen sich die Ehrenamtlichen, die die Andachten mit den Biografien der Maueropfer halten. Sie erzählen den Besuchern etwas über das Leben und Schicksal des Toten, zünden eine Kerze an und beten anschließend mit den Angehörigen oder Besuchern. Die Biografien wurden von Experten der Gedenkstätte Berliner Mauer und des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam erarbeitet. 140 Geschichten stehen in dem Buch, das unter dem Altar verschlossen liegt.

Dieter Operhalsky kennt sie alle. Seit 2009 kommt er mindestens ein Mal im Monat von Münster nach Berlin, um eine Andacht für einen Mauertoten zu halten. Am 6. August war Operhalsky für seine 170. Andacht in der Gedekstätte. Auf dem Plan, den die Zeitzeugen-Forscher der Mauerstiftung monatlich erstellen, stand diesmal Burkhard Niering. Er wurde am 1. September 1950 geboren und am 5. Januar 1974 beim Fluchtversuch erschossen. Die Geschichte, die Operhalsky den an diesem Mittag nur wenigen Touristen in der Kapelle der Versöhnung vorliest, findet auch der Lektor „schon ziemlich haarsträubend“. Niering hatte als Wehrpflichtiger der Bereitschaftspolizei einen Grenzposten am Checkpoint Charlie als Geisel genommen und mit der Maschinenpistole bedroht. Als sich die Geisel kurz losreißen kann, wird Burkhard Niering von zwei Grenzposten erschossen. „Jedes Opfer an der Mauer ist trotzdem ein Todesopfer“, sagt der Beamte aus Münster schon wegen seiner christlichen Einstellung. „Der Sinn der Mauerandachten ist ja auch der, zu zeigen, dass sich so etwas nicht wiederholen sollte“, so Operhalsky. Das Thema sei überall wichtig, wo es solche Grenzen gibt.

Lektoren gesucht

Esther Schabow freut sich über solche Menschen wie Dieter Operhalsky, die „dem Gedenken ihre Stimme und ihr Gesicht geben“, wie sie sagt. Etwa zehn Lektoren übernehmen derzeit die Mauerandachten von Dienstag bis Freitag. Darunter sind auch ehrenamtliche Kirchenhüter, die in der Versöhnungskapelle Besuchsdienst machen. Pfarrer Thomas Jeutner liest auch regelmäßig die Biografie eines Mauertoten. Esther Schabow sucht dringend weitere Lektoren für das einzigartige Gedenkprojekt. Sie will auch noch mal die ansprechen, bei denen die Mitarbeit etwas eingeschlafen ist. Unter den Lektoren waren früher auch Leute aus der Behörde, die in der Mittagspause eine Andacht übernommen haben.

Dieter Operhalsky will auf jeden Fall noch lange weiter machen. Er begreift sich als „Stimme gegen das Vergessen“. Diese Stimme ist die einzige, die einen so weiten Anreiseweg hat. Den Aufwand ist es dem Geschichtsinteressierten auch deshalb wert, weil es in Berlin so viel zu entdecken gibt. Für Dieter Operhalsky sind seine Berlinbesuche mit seiner Frau auch immer spannende Erlebnisse.

Die Versöhnungsgemeinde sucht weitere Lektoren, die eine Mauertotenandacht übernehmen möchten. Weitere Infos dazu gibt gern Esther Schabow unter  der Telefonnummer 0176 52 34 84 46.

Dieter Operhalsky kommt seit zehn Jahren von Münster nach Berlin, um ehrenamtlich in der Kapelle der Versöhnung den Maueropfern zu gedenken.  | Foto: Dirk Jericho
In einem dicken Buch unterm Altar der Versöhnungskapelle stehen die 142 Biografien der Mauertoten, die in den Andachten vorgetragen werden.   | Foto: Dirk Jericho
Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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