Viele neue Mitarbeiter, aber auch mehr Einwohner
Bürgermeister Stephan von Dassel über seine Pläne für das neue Jahr

Stephan von Dassel ist seit 2016 Bürgermeister in Mitte. | Foto: Bezirksamt Mitte
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Zusätzliche Drogenkonsumräume für Abhängige, Beschränkungen für den motorisierten Individualverkehr, der Kampf gegen E-Scooter auf den Gehwegen und Märchen im Monbijoupark nur noch im Zelt: Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) sagt im Jahresinterview mit Berliner-Woche-Reporter Dirk Jericho, was er im neuen Jahr vor hat.

Herr von Dassel, was war für Sie das Wichtigste im vergangenen Jahr?

Stephan von Dassel: Das Projekt der autofreien Friedrichstraße war für mich persönlich das wichtigste Projekt 2019, weil wir dort das Thema Verkehr, Innovation und Nachhaltigkeit sinnvoll verbinden konnten und die anfängliche Skepsis einer Aufbruchstimmung gewichen ist. Ich hoffe, dass die nachhaltige Mode, die wir dort gezeigt haben, nun auch den Weg in die dortigen Geschäfte findet.

Eins Ihrer Ziele für 2019 war, dass keine Sprechstunden mehr ausfallen sollten. Aber vor allem im Jugendamt mussten wieder Abteilungen schließen, um Aktenberge aufzuarbeiten.

Stephan von Dassel: Wir alle im Bezirksamt hätten uns gewünscht, dass keine Sprechstunden mehr ausfallen. Aber in der dadurch gewonnenen Zeit konnten wir Bearbeitungsrückstände aufarbeiten, so dass sich Leistungen, auf die die Menschen angewiesen sind, nicht weiter verzögern. Wir haben viel zusätzliches Personal eingestellt, aber dank der starken Konkurrenz verlieren wir auch viele Beschäftigte. So haben wir dieses Jahr wohl rund 350 neue Mitarbeitende – nicht wenige als Quereinsteiger – bei uns eingestellt, aber auch rund 250 haben uns altersbedingt verlassen. Alle Ämter müssen somit in großem Umfang einarbeiten und fortbilden. Und wenn die neue Software dann erhebliche Startschwierigkeiten hat, hilft das auch nicht.

Mehr Bürgerbeteiligung und ein gläsernes Rathaus – das propagieren Sie immer. Wie verträgt sich das mit dem Projekt im Park am Nordbahnhof, wo trotz Anwohnerprotesten mit Spielplatz-Extrageldern eine teure Fitnessfläche gebaut wird und auf die gesetzlich vorgeschriebene Kinder- und Jugendbeteiligung verzichtet wurde?

Stephan von Dassel: Der Park entstand als Naturschutzmaßnahme durch Grün Berlin und ist urheberrechtlich geschützt. 2019 konnten kurzfristig zusätzliche öffentliche Mittel eingesetzt werden. Für den unvollendeten Nordbahnhof lag eine Planung vor. Das Jugendamt hat seine schnelle Umsetzung ohne Kinder- und Jungendbeteiligung unterstützt. Nun erfolgt die Vollendung des prämierten Siegerentwurfs. Zudem gab es einzelne kritische und positive Anmerkungen. Die multifunktionalen Spielinseln machen Bewegungsangebote für jedes Alter. Leider wurde die von uns gewünschte öffentliche Diskussion im BVV-Ausschuss mehrfach verschoben.

Der Bezirk kann mit dem neuen Haushaltsbeschluss erstmals wieder mehr Geld ausgeben und über 100 neue Mitarbeiter einstellen. Werden die Bürger das 2020 auch deutlich spüren?

Stephan von Dassel: Das hoffe ich sehr, zumal sich damit unsere Verwaltung deutlich verjüngt und vom kulturellen Hintergrund auch immer vielfältiger wird. Allerdings ist die Bevölkerungszahl in den letzten Jahren auch deutlich gestiegen, so dass wir pro Einwohner/in nicht mehr Beschäftigte haben werden als früher. Und auch die Herausforderungen im öffentlichen Raum, bei der sozialen Fürsorge und natürlich im Bereich Mieten und Zweckentfremdung werden eher mehr denn weniger.

Ob Grünstreifen auf der Karl-Marx-Allee, angeordnet von Verkehrssenatorin Günther trotz anders lautendem Bürgervotum, oder eine autofreie Friedrichstraße – wo wollen Sie im Bezirk noch überall Autofahrern das Leben schwer machen?

Stephan von Dassel: Natürlich geht es nicht darum, Autofahrenden das Leben schwer zu machen. Eher das Gegenteil: Es kann doch nicht sein, dass Handwerker, der Lieferverkehr, Taxis oder Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen aufs Auto angewiesen sind, stundenlang im Stau stehen, weil viele Menschen das Auto allein und aus Bequemlichkeit nutzen. Ziel sämtlicher Maßnahmen ist es, die Aufenthaltsqualität in unserer Stadt zu erhöhen, Berlin klimagerechter und insbesondere für Fußgänger und Radfahrende attraktiver und sicherer zu machen. Die Beschränkungen für den motorisierten Individualverkehr, die in Berlin bei manchen Schnappatmung verursachen, sind in vielen anderen Metropolen längst Standard.

Der absurde Zoff um die zerstrittenen Theaterprojekte im Monbijoupark und die Entscheidungen des Bezirks haben die Leute irritiert und verärgert. Jetzt haben Sie nach vielen Jahren der Duldung Theater in den beliebten Märchenhütten verboten, aber ein Veranstaltungszelt daneben genehmigt. Verstehen Sie Bürger, die Ihre Politik nicht mehr verstehen?

Stephan von Dassel: Ich weiß, wie beliebt die Märchenhütten sind. Die Situation ist verworren und kompliziert und ich kann verstehen, dass Bürger nicht mehr durchblicken. Zum einen haben sich die Betreiber medienwirksam wechselseitig zerstritten und dann wieder in der Ursprungskonstellation zusammengefunden. Zum anderen hat sich der Betreiber der Märchenhütte seit deren Errichtung nicht an behördliche Auflagen gehalten, aber immer wieder versprochen, das zu ändern, was nicht passiert ist. So kam es auch zu den vielen Jahren Duldung durch den Bezirk. Der Bezirk Mitte hat sich auf das wirklich absurde Possenspiel um die Spaltung des Theaterprojekts eingelassen, um die Tradition der Märchenhütte rechtlich sauber in einem Veranstaltungszelt fortzuführen. In einer Grünanlage ist das nur als „fliegender Bau“ möglich, der deutlich geringere Auflagen erfordert. Grade der Brandschutz ist bei den bisherigen Märchenhütten ein Problem, vor dem wir nicht länger die Augen verschließen können.

Der Bezirk verleiht der Berliner Obdachlosenhilfe den Ehrenamtspreis. Der Verein lehnt ab und bezeichnet Ihre Politik als „obdachlosenfeindlich und oft menschenverachtend“. Was läuft denn da schief in Ihrem Bezirk?

Stephan von Dassel: Der Bezirk Mitte ist der Bezirk, der am meisten Hilfen für obdachlose Menschen anbietet. Von Plätzen in der Kältehilfe über das Duschmobil für obdachlose Frauen bis zu eigenen Straßensozialarbeitenden und hoffentlich auch bald psychiatrischen Angeboten auf der Straße. Wir sagen aber auch, dass es für niemanden eine Lösung ist, die Menschen in ihrem Elend einfach sich selbst zu überlassen. Von vielen ehemaligen Obdachlosen weiß ich, dass auch die kontinuierlichen Ansprachen durch das Ordnungsamt helfen, die vorhandenen Hilfen anzunehmen. Die Berliner Obdachlosenhilfe macht gute und wichtige Arbeit. Der Dissens liegt darin, dass sich der Verein vehement gegen jegliche Räumung von wilden „Obdachlosencamps“ im öffentlichen Raum ausspricht – ungeachtet der massiven Probleme, die dadurch entstehen.

Was sind Ihre drei großen Projekte oder Ziele für den Bezirk 2020?

Stephan von Dassel: Wir brauchen eine Drogenpolitik, die der Tatsache Rechnung trägt, dass sich Drogenhandel und Drogenkonsum gegenwärtig drastisch und teilweise sehr aggressiv in der Öffentlichkeit ausweitet. Wir müssen den Drogenkonsum weg von U-Bahnhöfen, Parks und (Spiel)Plätzen hin in Drogenkonsumräume lenken, in denen medizinisch geschultes Personal, Einwegspritzen und Beratung zur Verfügung stehen. In Moabit haben wir bereits einen solchen Drogenkonsumraum, der aber nicht ausreicht für die Größe des Bezirks. Wir brauchen nach wie vor mehr und bezahlbaren Wohnraum, ob neu gebaut, durch den Mietendeckel gesichert oder vor Zweckentfremdung geschützt. Hier müssen wir alle Möglichkeiten konsequent ausschöpfen. Und E-Scooter dürfen nicht mehr auf den Gehwegen abgestellt werden und müssen in der Anzahl deutlich reduziert werden.

Ihre persönlichen Wünsche für das neue Jahr?

Stephan von Dassel: Mein Englisch und Französisch verbessern, einen anderen Fußballmeister feiern als Bayern München und beim Rennradfahren die französischen Pyrenäen genießen.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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