Sendeschluss im Rathaus?
Fraktionen streiten über Fortführung der Liveübertragungen aus der BVV
Für die einen ist es ein toller Bürgerservice, für die anderen eine unattraktive Livedoku, die ohnehin kaum jemand guckt. Im September entscheidet sich, ob das BVV-TV wieder auf Sendung geht.
Es sind jedes Mal nur ein paar Hanseln, die sich ein Mal im Monat auf die wenigen Stühle im hinteren Besucherbereich des BVV-Saals im Rathaus Mitte setzen, um die Debatten der Bezirksverordneten live zu verfolgen. Außer bei brisanteren Themen, wenn Bürgerinitiativen mit Plakaten auflaufen, ist kaum was los im Bezirksparlament. Um mehr Bürger für Bezirkspolitik zu begeistern, hatte die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) nach jahrelangen Debatten eine Liveübertragung der Sitzungen beschlossen. Seit September 2018 wurden die BVV-Abende im Internet übertragen. Die Resonanz: mäßig. Die Klickzahlen: sehr bescheiden.
Die Testphase für das BVV-Fernsehen ist im Juni abgelaufen. Nach der Sommerpause wird erstmal nichts mehr gezeigt. Der Vertrag mit der Streamingfirma Contentflow wurde beendet. Am 3. September wollen sich der Ältestenrat und der Hauptausschuss mit der Frage beschäftigen, ob das BVV-TV fortgeführt wird. Die Gelder dafür sind im Haushalt zwar schon eingestellt, können aber bei der Verabschiedung des Haushaltsplans am 5. September noch rausfliegen. Denn wie die Auswertung der Klickzahlen ergibt, gucken nur wenige Leute zu. Zwischen 65 und 162 Klicks hatte der Livestream pro Sitzung. Und die dauert mehrere Stunden. Einige Verordnete vermuten, dass die Zuschauer ein paar Journalisten sind, die auf der Couch den Debatten lauschen, oder Rathausbeamte, die auch mal reinklicken. Und die Zahl der registrierten Klicks sagt auch nicht, dass es sich dabei um unterschiedliche Besucher handelt. Weil die IP-Daten nicht ausgewertet werden, könnten die Klicks von ganz wenigen kommen.
Viel Geld für wenig Zuschauer
Vor allem die Regierungsparteien von SPD und Grünen bezweifeln das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Die Übertragungen kosten knapp 1200 Euro pro Livestream. „Leider mussten wir feststellen, dass die Zugriffe auf niedrigem Niveau blieben. Wir müssen jetzt in der Fraktion besprechen, ob es andere Möglichkeiten geben könnte, die Bürger besser zu erreichen“, sagt Grünen-Chef Johannes Schneider. So argumentiert auch SPD-Fraktionsvorsitzender Sascha Schug. „Wir haben keine generellen Einwände gegen den BVV-Livestream. Da sich über ein Jahr die Zuschauerzahl nicht gesteigert hat, sehen wir auch kein großes Problem, wenn es nicht weiterläuft“, so Schug. Weil so wenige Leute BVV-TV gucken, hält es auch AfD-Fraktionschef Eckhard Paetz „für besser, das nun eingesparte Geld für die Bürger an anderer Stelle einzusetzen, zum Beispiel für die Seniorenarbeit, bessere Gehwege oder den Kampf gegen den Müll“.
Diskussionen gibt es nicht nur über das Kosten-Nutzen-Verhältnis, sondern auch um die Attraktivität des Parlamentsfernsehens. Linke-Chef Thilo Urchs, dessen Partei schon 2011 eine Liveübertragung der BVV-Sitzungen beantragt hatte, hält den Service so für nicht ausreichend. Bisher zeigen die zwei Kameras nur das Rednerpult und den BV-Vorstand. Die Regierungsbank davor mit den Stadträten wollte nicht permanent im Bild sein; so wie die meisten Verordneten, die keine anderen Bildausschnitte und Saaleinstellungen wünschen. So gibt es oft absurde Situationen, wenn jemand am Saalmikro spricht und der Internet-Zuschauer ein leeres Pult sieht. Zudem gibt es keine Kommentierung oder Einblendungen, wer gerade spricht. Die Leute verstehen die Diskussionen schwer, wenn sie die Drucksachen nicht dazu haben. „Für Nichtinsider ist eine BVV-Übertragung ohne Begleitung keine leichte Kost“, so Thilo Urchs.
Mehr Werbung, attraktiveres Angebot
Die CDU will weiterhin eine Übertragung der BVV-Sitzungen. „Man sollte jede Möglichkeit nutzen, um auch die Kommunalpolitik den Leuten näher zu bringen“, sagt Fraktionschef Sebastian Pieper. Er will zudem eine Archivfunktion, mit der man später die Debatten nachschauen kann. Bisher werden die Übertragungen nicht aufgezeichnet und daher nicht in einer Mediathek bereitgestellt.
Auch die FDP-Fraktion will sich dafür einsetzen, dass es auch zukünftig einen Livestream gibt. „Ziel muss sein, Politik so transparent und öffentlich wie möglich zu machen“, sagt Fraktionschef Felix Hemmer. Er fordert mehr Kameras, die auch den Saal zeigen. „Als vom Volk gewählter Mandatsträger muss man damit leben, auch digital öffentlich aufzutreten“, so Hemmer. Dass kaum jemand zuschaut, liegt laut Hemmer an der fehlenden Bekanntheit. „Es muss mehr Werbung für die Übertragung gemacht werden – im Internet, in den Medien, auf Flyern und Aushängen in den Rathäusern“, sagt der FDP-Mann.
Für Alexander Freitag von den Piraten sind die geringen Nutzerzahlen kein Grund, das BVV-Fernsehen abzuschalten, sondern „jetzt nach einem Jahr zu überlegen, was besser gemacht werden kann“. Mit dem Sendeschluss wäre der Bürger „gleich doppelt abgestraft für die Fehlentscheidungen der Politik, da es seit dem Umzug der BVV 2011 ins Rathaus Mitte kaum Platz für Gäste gibt“. Der Livestream sei „kein Extraangebot für Couchpotatos, sondern das demokratische Grundrecht der Teilhabe“. Freitag fordert ebenfalls eine Werbekampagne und eine Veröffentlichung der BVV-Videos auf YouTube, „so wie es ZDF, arte und Co. vormachen“. Sein Kollege Michael Konrad denkt an Verbesserungen der BVV-Sendungen wie Textanzeigen zu den Themen und die Speicherung zumindest der Tonspur „mit Einsprungmarken zu den TOP" (Tagesordnungspunkten, Anm. d. Red.).
Die BVV-Büros in Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick, die wie auch Reinickendorf und Lichtenberg einen BVV-Livestream anbieten, stellen die Audiodateien der Debatten aufbereitet pro Tagesordnungspunkt zur Verfügung. Im Bezirk Lichtenberg werden alle BVV-Sitzungen als Video gespeichert und können bis zu sechs Monate nach der Tagung unter http://lichtenberg.demokratielive.org abgerufen werden.
Und was sagt Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) zum Sendeschluss im Rathaus? „Sorry, da enthalte ich mir eine Meinung, da es gute Gründe dafür, aber auch dagegen gibt. Zum Glück muss ich nicht alles entscheiden."
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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