Corona macht Angst
Ehrenamtliche Seelsorger haben ein offenes Ohr für die Sorgen der Menschen

Gerlind Vespermann ist eine von 71 ehrenamtlichen Seelsorgern am Corona-Seelsorgetelefon. | Foto: Dirk Jericho
3Bilder
  • Gerlind Vespermann ist eine von 71 ehrenamtlichen Seelsorgern am Corona-Seelsorgetelefon.
  • Foto: Dirk Jericho
  • hochgeladen von Dirk Jericho

Die Kirchen bieten seit dem Lockdown im März mit ihrem Corona-Seelsorgetelefon Rat und Hilfe für Menschen, die unter der Pandemie besonders leiden. Um das kostenlose telefonische Hilfsangebot bekannter zu machen, wurde jetzt eine Plakatkampagne gestartet.

Wenn Gerlind Vespermann nach Feierabend zu Hause ihren ehrenamtlichen Dienst am Corona-Seelsorgetelefon aufnimmt, verdrückt sie sich ins Arbeitszimmer, zündet eine Kerze an und stellt einen Engel hin. Denn die Gespräche, die die ehrenamtliche Seelsorgerin seit Monaten führt, erfordern ihre ganze Kraft. Damit die Sorgen der Menschen nicht ständig durch ihre Wohnung spuken, hat sie den Trick mit dem Arbeitszimmer als abgeschlossenen Bereich.

Familiärer Streit während häuslicher Isolation

„Viele Anrufer sind in einer suizidalen Krise“, sagt Vespermann, die schon über 90 Gespräche am Corona-Seelsorgetelefon geführt hat. „Ich stehe hier im siebten Stock und springe jetzt“, hat Ostern ein 25-jähriger Mann im Gespräch gesagt. Der Bundeswehrsoldat hatte sich in der häuslichen Isolation mit seiner Freundin gestritten. Gerlind Vespermann hat sehr lange mit dem Mann gesprochen und konnte ihn schließlich dazu bewegen, dass er sein Vorhaben nicht in die Tat umsetzt. „Ich hoffe, es ist heute alles gut mit ihm“, sagt die Seelsorgerin.

Waren es anfangs eher viele Fragen zu Corona, haben die ehrenamtlichen Seelsorger jetzt vor allem Anrufer, die Angst vor einem zweiten Lockdown haben, mit Einsamkeit und wachsender Existenznot kämpfen und sich zunehmend mit Suizidgedanken tragen. Auch deshalb wollen die Kirchen das Angebot für Beratung und Seelsorge mit der Kampagne bekannter machen. Die Plakatfirma Wall unterstützt die Aktion und stellt Werbeflächen an 1200 Standorten kostenfrei zur Verfügung. Zudem verteilt der Sponsor Dinamix Media 24 000 Gratis-Postkarten in Restaurants und Kneipen.

Das Corona-Seelsorgetelefon ist ein Projekt der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, des Erzbistums Berlin, des Diakonischen Werks und der Caritas. Die Senatsverwaltung für Gesundheit unterstützt das Angebot bis zum Jahresende mit 65 000 Euro. Nach eigenen Erhebungen gingen bei der Hotline bis Ende Juli fast 1500 Anrufe ein. Die durchschnittliche Gesprächsdauer betrug 24 Minuten. Aktuell sinkt die Zahl der Anrufer, dafür nimmt die Länge der einzelnen Gespräche deutlich zu.

In schweren Lebenskrisen zuhören und helfen

71 ausgebildete ehrenamtliche Seelsorger teilen sich die täglichen Schichten zwischen 8 und 24 Uhr. Das Corona-Seelsorgetelefon ist zum Ortstarif unter Tel. 403 66 58 85 erreichbar. Das Motto lautet „Wenn alles zu viel wird: Wir hören zu“. Erzbischof Heiner Koch sagte zum Start der Plakatkampagne, dass das Thema Corona vor allem durch die Proteste der Verschwörungstheoretiker überall „sehr laut“ da sei. „Wir wollen ein Zeichen setzen, dass Corona auch sehr leise da ist“, so Koch. Die kirchlichen Seelsorger hören sich die Sorgen der Menschen an und wollen mit einem offenen Ohr in schweren Lebenskrisen helfen. „Barmherzigkeit ist eine Grundhaltung von Kirche“, betont Erzbischof Koch.

Manchmal reicht es schon, einfach gemeinsam zu weinen. Gerlind Vespermann erzählt von einer jungen Frau, die sich eine halbe Stunde lang ausgeweint hat. „Sie wollte einfach nicht immer nur stark sein müssen“, sagt die Seelsorgerin. Vor ihrem Mann habe sie sich das nicht getraut.

Das Corona-Seelsorgetelefon Tel. 403 66 58 85 ist täglich von 8 bis 24 Uhr kostenfrei und anonym erreichbar. Weitere Infos auf https://bwurl.de/15fn.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

48 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

WirtschaftAnzeige
Das Restaurant Chettinad finden Sie seit Herbst 2023 auch im Food Court im The Playce am Potsdamer Platz.
5 Bilder

Chettinad im Manifesto Market
Indien zu Gast im The Playce

Im ersten Oberschoss des populären Food Court im The Playce am Potsdamer Platz präsentiert sich seit Herbst 2023 auch das Restaurant Chettinad, das seine typisch indischen Spezialitäten somit an drei Berliner Standorten sehr eindrucksvoll präsentiert. Auch am Hotspot am Potsdamer Platz werden neben diversen landestypischen Suppen und Vorspeisen auch zahlreiche Hauptgerichte serviert, die ganz nach Belieben für eine kulinarische Reise der besonderen Art sorgen. Zu den Highlights zählen dabei...

  • Tiergarten
  • 24.04.24
  • 98× gelesen
WirtschaftAnzeige
Foto: pexels/Giulia Freitas
5 Bilder

Mode oder mehr?
Piercing. Von alten Ritualen bis zu moderner Kunst

Ist das Modeakzent oder kulturelles Erbe? Auf jeden Fall ist Piercing die beliebteste und gefragteste Körpermodifikation der Welt, die sowohl persönliche Vorlieben und Modetrends als auch tiefe kulturelle Traditionen widerspiegelt. Was ein modisches Piercing heute ist und wie es sich im Laufe der Zeit verändert hat, erfahren wir zusammen mit VEAN TATTOO in diesem Artikel. Eine der beliebtesten Arten von Piercings ist das Ohrlochstechen. Ein Klassiker aller Zeiten, ist das wirklich so und woher...

  • Mitte
  • 17.04.24
  • 541× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Wenn auch Sie mehr über Ihre Schulterbeschwerden erfahren möchten und sich über mögliche Behandlungsansätze informieren möchten, kommen Sie zum Informationsabend am 23. Mai. | Foto: B. BOISSONNET / BSIP

Wir informieren Sie
Schmerzen in der Schulter – Ursachen und Behandlungen

Schmerzen in der Schulter können vielfältige Ursachen haben – sei es durch Unfälle oder Verschleißerscheinungen. Diese Ursachen können die Beweglichkeit beeinträchtigen und die Lebensqualität stark einschränken. Unsere Experten, Dr. med. Louise Thieme und Robert Tischner, Teamchefärzte des Caritas Schulter- und Sportorthopädiezentrums, werden bei unserem Informationsabend speziell auf die Problematik von Schulterbeschwerden eingehen – vom Riss der Rotatorenmanschette bis zur Arthrose. Sie...

  • Pankow
  • 18.04.24
  • 504× gelesen
Gesundheit und Medizin
Wenn Hüfte oder Knie schmerzen, kann eine Arthrose die Ursache sein.

Infos für Patienten
Spezialthema: Arthrose in Hüft- und Kniegelenken

Sie leiden unter Schmerzen im Knie- und Hüftgelenk? Diese Beschwerden können verschiedene Ursachen haben, wie beispielsweise Unfälle, Verschleißerscheinungen, angeborene oder erworbene Fehlstellungen. Die Auswirkungen beeinflussen nicht nur die Beweglichkeit, sondern auch die Lebensqualität entscheidend. An diesem Infoabend möchten wir speziell auf die Arthrose in Knie- und Hüftgelenken eingehen. Die Behandlung von Arthrose erfolgt individuell aufgrund der vielfältigen Ursachen und...

  • Pankow
  • 19.04.24
  • 456× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Langanhaltende Schmerzen können ein Anzeichen für Gallensteine sein.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Wann ist eine OP sinnvoll?
Infos zu Gallensteinen und Hernien

Leiden Sie unter belastenden Gallensteinen oder Hernien (Eingeweidebruch) Langanhaltende Schmerzen begleiten viele Betroffene, unabhängig des Lebensalters, bevor sie ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Eine frühzeitige Diagnose und Behandlung können jedoch häufig Komplikationen vermeiden. Wir sind auf die Behandlung dieser Probleme spezialisiert und bieten Ihnen erstklassige allgemein- und viszeralchirurgische Expertise. Von Diagnostik bis Nachsorge: Wir kümmern uns individuell um Ihre...

  • Reinickendorf
  • 17.04.24
  • 480× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.