Krähen statt Körner
Die Roggenernte auf dem Kirchenacker war schlecht, aber darum geht es nicht

Macht immer wieder Spaß: Mauerstiftungsdirektor Axel Klausmeier, Friedensbrot-Vorsitzender Adalbert Kienle und Landwirtschaftsprofessor Frank Ellmer (von links) helfen bei der Roggenernte. | Foto: Dirk Jericho
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Bereits zum 13. Mal wurde beidseitig der Kapelle der Versöhnung inmitten der Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße ein Roggenfeld gesät und geerntet. Die Ernte in diesem Jahr ist eher bescheiden. Aber darum geht es bei dem symbolträchtigen Projekt auch nicht.

Eine überraschende Show für Touristen, ein immer wieder gern übernommener Arbeitseinsatz für Mauerstiftungsdirektor Axel Klausmeier und eine gute Gelegenheit für mittlerweile pensionierte Ackerbaudozenten wie Wilfried Hübner, ein Herzensprojekt zu besuchen: Das ist die jährliche Roggenernte auf dem 2000 Quadratmeter großen Feld rund um die Versöhnungskapelle. Wenn Heiko Störmer seinen Wintersteiger-Parzellenmähdrescher anschmeißt und im früheren Todesstreifen Roggenähren in das Schneidwerk zieht, zücken Touris die Kameras und Klausmeier posiert mit dem Rechen.

Die Roggenernte auf dem Kirchenacker im früheren Todesstreifen ist ein Symbol. Der Bildhauer und Steinmetz Michael Spengler hatte 2006 die Idee zu dem Kunstprojekt. Er wollte mit dem Kornfeld das Wachsen, Gedeihen und Vergehen darstellen. Seit 2014 gibt es den Verein Friedensbrot, der das Roggenmehl mit dem aus anderen mittel- und südosteuropäischen Ländern vermischt und daraus Friedensbrot backt. Jährlich gibt es Konferenzen „Frieden und Landwirtschaft“ in den Partnerländern; am 23. und 24. September in Estland. Eine Karawane mit neun Pferdegespannen will zudem in diesem Jahr am 20. Juli mit kleinen Roggenmehlsäckchen vom historischen Mitte-Acker nach Nowgorod aufbrechen, um eine Friedensglocke dorthin zu bringen, sagt Frank Ellmer.

Der größte Teil der zirka 200 Kilogramm Getreide wird, nachdem er in der Versuchsstation der Humboldt-Universität (HU) in Dahlem getrocknet und gereinigt und daraus Mehl gemacht wurde, von einem Biobäcker zu Brot und Oblaten für die Feier des Abendmahls in der Versöhnungskapelle verarbeitet. Besucher können kleine Leinensäcke mit dem symbolträchtigen Korn auch gegen eine Spende in der Kapelle der Versöhnung bekommen.

Frank Ellmer ist Vizechef des Vereins Friedensbrot und oberster Landwirt für das Roggenfeld im früheren Niemandsland. Als Professor für Agronomie der Lebenswissenschaftlichen Fakultät der HU betreut Ellmer seit Jahren den Miniacker und lässt seine Studenten darüber Semesterarbeiten schreiben. Auf der Internetseite des Friedensbrot e.V. kann man die Untersuchungen zum Grenzstreifen-Getreide von 2017 herunterladen. Auf 50 Seiten gibt es Tabellen und Analysen zum Ertrag und vielen anderen Parametern. Ob die Beschreibung der Studenten zu ihrem Studienprojekt im einstigen Grenzgebiet augenzwinkernd gemeint oder eher unbedacht ist, weiß man nicht. In der Zusammenfassung schreiben die angehenden Bauern, dass ihre wöchentlichen Besuche und pflanzenbaulichen Untersuchungen am Roggenfeld an der Kapelle der Versöhnung „einen weitestgehend observierenden Charakter besitzen sollten".

Die Ernte jedenfalls war wie schon im vergangenen Jahr schlecht. Als Grund nennt Agrarprofessor Frank Ellmer das Kunstprojekt „Berliner Krähen“ auf dem abgeernteten Roggenfeld im September 2017. Schulkinder und Gemeindemitglieder hatte hunderte Krähenskulpturen gebastelt und um die Kapelle gestellt. „Dadurch konnte wir erst im Oktober aussäen, viel zu spät“, sagt Ellmer. Hinzu kam die Hitze im Mai, „die uns den Garaus gemacht hat“, so der Landwirt. Die diesjährige Ernte habe höchstens ein 20er TKG, schätzt der Fachmann. Das Tausendkorngewicht (TKG) lag sonst durchschnittlich bei 35 Gramm.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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