Stiften wird immer beliebter - ein Interview mit Prof. Dr. Hans Fleisch
Herr Professor Fleisch, wie hat sich die Stiftungslandschaft in Berlin in den zurückliegenden Jahren entwickelt?
Hans Fleisch: Die Stiftungslandschaft in Berlin entwickelt sich positiv mit einem kontinuierlichen Wachstum. Wir haben eine steigende Stiftungsdichte mit jetzt 25 Stiftungen je 100.000 Einwohner, 2012 waren es 22. Es sind auch finanziell starke Stiftungen dabei. 2014 sind insgesamt 30 Stiftungen hinzugekommen. Damit liegt Berlin jetzt in einem guten Bundesdurchschnitt. Das ist insofern durchaus bemerkenswert, weil die Stadt nach dem Fall der Mauer erst wieder zusammenwachsen musste und in der DDR die Stiftungslandschaft zerstört war.
Womit beschäftigen sich die Stiftungen in Berlin besonders?
Hans Fleisch: In Berlin gibt es auffällig viele Stiftungen im Kulturbereich und zum Thema Gesundheit. Es gibt im Vergleich zu stiftungsstarken Städten wie Würzburg weniger altehrwürdige traditionelle Sozialstiftungen. Aber auch Berlin hat einige große kirchliche Stiftungen wie das Johannes-Stift. Unter den Weltkriegen, dem Nationalsozialismus und der deutschen Teilung hatte die Stiftungslandschaft in Berlin, in der es auch viele jüdische Stiftungen gab, besonders stark gelitten.
Wie serviceorientiert ist die Berliner Stiftungsaufsicht?
Hans Fleisch: Die Berliner Stiftungsaufsicht ist ausgesprochen serviceorientiert, besonders bei Neugründungen. Es gibt allerdings einige Berliner Besonderheiten in der Verwaltungspraxis, die nicht nur auf Wohlgefallen treffen. Gemeint sind zum Beispiel die Berichterstattungspflichten bereits gegründeter Stiftungen. Trotzdem ist die Beratung schnell, flexibel und sehr kompetent.
Es werden zunehmend mehr Stiftungen gegründet. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Hans Fleisch: Das ist ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren. Durch unsere lange Friedenszeit konnten sich eine stabile Wirtschaft und Wohlstand entwickeln. Außerdem sind in den letzten 15 Jahren auf Landes- und Bundesebene die Rahmenbedingungen verbessert worden. Durch ihre steigende Zahl sind Stiftungen auch sichtbarer und kommen so vermehrt in das Blickfeld möglicher Stifter. Ein weiterer Punkt ist der demografische Wandel: Wir haben eine große Altersgruppe der über 55-Jährigen und etliche von ihnen haben keine Kinder. In diesem Alter haben die meisten Menschen Fragen wie zur beruflichen Entwicklung gelöst. Das Stiften ist dann eine Abrundung des Lebenswerks.
Wie ist die Arbeit von Stiftungen mit dem bürgerschaftlichen Engagement verknüpft?
Hans Fleisch: Immer mehr Menschen engagieren sich bürgerschaftlich. Jüngere fangen häufig mit Einzelprojekten an oder werden zum Beispiel Elternsprecher. Wer sich lange Zeit engagiert, schätzt zunehmend die nachhaltigen Formen des Engagements. Das Stiften ist die nachhaltigste Form des Engagements und wirkt auch dann noch, wenn ich nicht mehr lebe. Das ist für viele ein schöner Gedanke.
Wie ließe sich das Engagement von Stiftungen erleichtern?
Hans Fleisch: Es gibt noch ein paar Starrheiten im Stiftungsrecht, die heute nicht mehr sinnvoll sind. Um nur ein Beispiel zu nennen: Stiftungsgründer machen im Laufe der Jahre auch mal die Erfahrung, dass der Stiftungszweck etwas geändert werden sollte. Das ist dann aber schwierig. Hier wäre eine Flexibilisierung bei den Rahmenbedingungen gut. Auch andere frustrierende Regelungen unter anderem bei der Umsatzsteuer sollte man beseitigen.
Und in der öffentlichen Wahrnehmung?
Hans Fleisch: Ich wünsche mir eine höhere Wertschätzung des Stiftens. Teilweise gibt es unnötige sozialneidische Reaktionen, wenn jemand stiftet. Hier können auch die Medien einen positiven Beitrag leisten. Stiften sollte noch selbstverständlicher werden.
Wie entwickelt sich das Konzept der Bürgerstiftungen in Berlin?
Hans Fleisch: Bei einer Bürgerstiftung gestalten Bürger ihr Umfeld mit ihrer Zeit, ihren Ideen und ihrem Geld. Das entwickelt sich in Berlin sehr stark. Man muss aber aufpassen, dass sich die Bürgerstiftungen in Berlin aufgrund der geografischen Nähe nicht gegenseitig in die Quere kommen.
Denn wir haben eine Bürgerstiftung für ganz Berlin und weitere in einzelnen Bezirken. Das sollte keine Konkurrenz, sondern eher Synergieeffekte hervorrufen. Ich sehe hier aber insgesamt gute Wachstumschancen.
Autor:Anett Baron aus Mitte |
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