Der soziale Kitt bröckelt
Berliner Amateurfußballer protestieren gegen Ungleichbehandlung gegenüber den Profis
Mit einem offenen Brief an Sportsenator Andreas Geisel (SPD) und den Präsidenten des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) protestieren Amateurvereine gegen die Spaltung der Fußballgemeinde.
Rund 80 000 aktive Fußballer in rund 250 Vereinen kicken in Berlin. Doch fast 99 Prozent der Mannschaften im Amateur-, Kinder- und Jugendfußball dürfen nur mit Abstand trainieren. Seit Monaten schieben sich die Amateure die Bälle nur gegenseitig zu, Eltern sind verärgert, weil sie nicht mit aufs Vereinsgelände dürfen und die ehrenamtlichen Trainer genervt, weil sie den Sinn der Corona-Regeln auch nicht immer erklären können. Ein regulärer Spielbetrieb mit Körperkontakt ist nicht erlaubt, die Saison wurde im März abgebrochen.
Während die Profimannschaften der Bundesligen und Regionalliga-Teams der Vereine Dynamo, Altglienicke, BAK, Hertha II, Tennis Borussia und Viktoria ohne Auflagen trainieren dürfen – also mit Körperkontakt –, bleibt dies den anderen Amateurmannschaften in Berlin verwehrt. Gegen diese Ungleichbehandlung regt sich immer mehr Unmut. Christian Hildebrand von den Füchsen Berlin und Gerd Thomas vom Schöneberger Fußballclub Internationale haben sich jetzt mit einem offenen Brief an Sportsenator Andreas Geisel und BFV-Präsident Bernd Schultz gewandt. Wie der Vorsitzende vom FC Internationale Berlin 1980 sagt, stünden viele Vereine hinter der Petition. Über 1300 Sportler haben den Brief schon unterschrieben.
Thomas fordert eine Gleichbehandlung aller Sportler. „Wir wollen nicht spekulieren, ob die Lockerungen angebracht sind oder nicht. Aber die Regeln sollten für alle dieselben sein, ob nun mit oder ohne Abstand“, sagt er. Die Logik in den Beschränkungen und Ausnahmen erschließt sich immer weniger Fußballern. „Warum darf der Vater in der Regionalliga ganz normal trainieren, der kleine Sohn aber nicht?“, heißt es in dem offenen Brief. Thomas kritisiert die Willkür der Entscheidungen und die fehlende Kommunikation auch des Berliner Fußball-Verbandes. „Uns sagt niemand etwas, wir brauchen eine Perspektive“, sagt Gerd Thomas. Er will keine „Virusdiskussion aufmachen“, sondern eine funktionierende Solidargemeinschaft und keine „Spaltung in förderungswürdige und nicht förderungswürdige Mannschaften“.
Laut Paragraph 5 der Corona-Verordnung des Senats können vom Kontaktverbot Ausnahmen „für Kaderathleten, Bundesligateams und Profisportler zugelassen werden, soweit dies für die Sportausübung zwingend erforderlich ist“. „Wir interpretieren diese Vorschrift schon so sportfreundlich wie möglich. Bis einschließlich Regionalliga interpretieren wir die Fußballer als Berufssportler“, so ein Sprecher der Sportverwaltung. „Für die anderen Vereine, die weder in einer Bundesliga spielen, noch dem Berufssport zuzurechnen sind, bietet die Verordnung keine rechtliche Möglichkeit einer Ausnahme.“
Gerd Thomas, Chef eines Amateurclubs mit über 1100 Mitgliedern und 48 Fußballmannschaften von Fünfjährigen bis zur Alterklasse Ü 60 (dort amtierender Berliner Meister), sorgt sich auch um die sozialen Auswirkungen der Spielverbote. „Wir leisten eine wichtige Integrationsarbeit“, so Thomas. Die Trainer würden berichten, dass immer weniger Spieler zum Training kämen, weil das keinen Spaß mehr mache. „Fußball ist in erster Linie Berliner Gemeinschaft, sozialer Kitt in den Stadtteilen, Integration und Vielfalt, Bewegung und Gesundheitsförderung, Nachbarschaft und Begegnung“, heißt es in dem offenen Brief. Und weiter: „Der Fußball, über den wir hier reden, hat nichts mit den Ehrentribünen im Olympiastadion oder in der Alten Försterei zu tun. Dort ist nicht der wahre Fußball, sondern nur ein knallhart funktionierendes Geschäftsmodell. Der wahre und wirklich systemrelevante Fußball spielt sich auf den viel zu wenigen und viel zu schäbigen Sportplätzen in Schöneberg, Wedding, Pankow oder Borsigwalde ab.“ Die Tausenden Ehrenamtlichen würden die Entscheidung für die Profis und gegen die Amateure als Schlag ins Gesicht empfinden, heißt es. In Brandenburg dürfen alle Vereine übrigens spielen. Immer mehr Berliner Amateurklubs fahren deshalb dorthin zu Freundschaftsspielen.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.